Arbeitsmarkt für Ü50: „Weiterbildung statt Vorruhestand“?

25.08.2022, Lars Hahn

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Lars Hahn ist nicht nur Geschäftsführer der LVQ, sondern mit seinen 54 Jahren auch im doppelten Sinne unser Senior-Berater für jobsuchende Weiterbildungsinteressierte 50 Plus, oft mit der Leitfrage: „Was mache ich eigentlich mit den verbleibenden Berufsjahren, die vor mir liegen?“ In diesem Beitrag schreibt er über den Wandel der Arbeitswelt für die Generation Ü50 und deren Chancen und Perspektiven durch berufliche Weiterbildung.

Mit 50 zu alt für den Arbeitsmarkt?

Als ich vor fast 20 Jahren in meinem jetzigen Job startete, durfte ich mit meinen gerade 35 Jahren gleich ein Projekt leiten: „50 Plus – Integration durch Erfahrung“ hieß es. Es ging darum, älteren arbeitslosen Akademikerinnen und Akademikern mithilfe von Weiterbildung und Praxisprojekt den (Wieder-)Einstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen. An diesem Programm nahmen unter anderem teil: ein Physiker, zwei Kraftwerksingenieure, eine Medizinerin, mehrere Bauingenieure, eine Sozialarbeiterin, ein Personalleiter, eine Marketingexpertin und viele andere. Spezielle 50-Plus-Projekte waren en vogue, denn Ältere waren am Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr erwünscht. Die Arbeitswelt war eine ganz andere als heute: Wer seinerzeit über 50 Jahre alt war, glaubte in der Regel selbst oft: „Mit Fünfzig bin ich zu alt für den Arbeitsmarkt!“. Wer Ü50 war, ging bei Energieversorgern oder Stahlkonzernen in den bitter versüßten Vorruhestand – Rente mit 50! Wer mit Ü50 jobsuchend bei der Agentur für Arbeit nach einer Weiterbildung fragte, wurde bestenfalls belächelt.

Und heute? Jetzt, nur zwanzig Jahre später, bin ich längst selbst über 50, die Arbeitswelt hat sich mehrfach gedreht, die Erwerbsquote von Ü50-Fachkräften hat sich massiv erhöht. Die neue Chefin der Bundesagentur für Arbeit Andrea Nahles argumentiert aktuell daher folgendermaßen:

„Die regelmäßige Weiterbildung von Beschäftigten wird zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor für Unternehmen, wenn es darum geht, Transformationsprozesse gut zu meistern. […] Beschäftigte in den Vorruhestand zu schicken, weil sich das Berufsbild verändert habe, ist jedenfalls angesichts der Personalknappheit keine gute Idee.“

So unterstützt die Arbeitsagentur heutzutage mit ihrem Bildungsgutschein fleißig auch ältere Arbeitslose, aber nicht nur die: Mit großer Aktivität wendet sie sich längst an Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen, um auch Weiterbildungen während der Beschäftigung zu unterstützen.

Demografischer Wandel – Erwerbspersonen-Schwund

Der demografische Wandel lässt allenthalben grüßen. Das statistische Bundesamt hat ein Worst-Case-Szenario berechnet, nachdem ohne nennenswerte Zuwanderung und ohne Erhöhung der Erwerbsquoten die Zahl der Arbeitskräfte von zurzeit 43 Millionen in den nächsten Jahrzehnten um bis zu 30 Prozent auf unter 30 Millionen Personen sinken könnte. Die „Erwerbspersonenvorausberechnung“ bis 2060 ist eine spannende Lektüre. Sie rechnet in den „optimistischeren“ Szenarien mit einer erhöhten Erwerbsbeteiligung – gerade auch der Älteren – und käme so im Best Case noch auf über 40 Millionen Erwerbspersonen. Übersetzt: Wir werden (fast) alle länger arbeiten, bei gleichbleibender dynamischer Veränderung der Arbeitswelt.

Dynamische Veränderungen durch Digitalisierung

Dass die digitale Transformation unserer Arbeitswelt voll im Gang und ein Ende noch nicht in Sicht ist, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Neue Berufsbilder entstehen schneller als ihre Jobtitel. Bestehende Berufe wandeln sich rasant, nicht nur bei Videokonferenz-tauglichen Berufen, sondern auch in Pflege, Handwerk, Logistik und Produktion. Wer heute das Glück hat, einen Heizungshandwerker im Haus zu haben, wundert sich kaum noch, dass er die aufgenommenen Daten direkt per Smartphone verarbeitet und weiterleitet.

In der Office-Arbeitswelt gehören Videotools und digitale Werkzeuge heute zur Zusammenarbeit wie selbstverständlich zum Arbeitsalltag. Wir arbeiten heutzutage digital, agil, kollaborativ und stetig lernend. Lebenslanges Lernen bekommt so eine ganz neue Bedeutung.

Berufliches Update durch eine Weiterbildung

Stetiges Lernen von neuem Fachwissen und die stetige Entwicklung von Kompetenzen wird also zunehmend wichtiger. Die Notwendigkeit beruflicher Weiterbildung bekommen dabei besonders diejenigen zu spüren, die nach langer Berufserfahrung gerade zwischen zwei Jobs stehen. Das ist auch logisch, denn während langjähriger Berufstätigkeit stellen sich Routinen ein. Da wo es nötig ist, werden eventuell sporadisch fachliche Fortbildungen besucht. Manchmal bleibt es über Jahre dann aber auch diese eine. Die langjährige Marketingleiterin Maria zum Beispiel kümmerte sich erfolgreich um Strategie, um Konzepte, aber „für online hatte ich meine Leute“. Als sie ihre Stelle verloren hat, musste sie in Bewerbungen jedoch ihre Digitalkompetenz unter Beweis stellen. Außerdem fallen Jobsuchende Ü50 oft auch einfach unter Generalverdacht:

Vom Digital Native ist man mit 50+ weit entfernt, das ist unstrittig. Daraus schließen viele Arbeitgeber allerdings ganz pauschal, dass Ältere weniger digital und auch grundsätzlich nicht sehr technikaffin seien“, weiß Placement-Beraterin Claudia Michalski.

Also mit 50 Plus noch mal eine Weiterbildung wagen? „Brauch ich das denn?“, lautet eine der häufigen Fragen, die uns gestellt werden. „Schaff ich das denn?“, ist eine andere, die wir manchmal, aber nicht ganz so oft hören. Klar ist das zu schaffen, denn das Tolle ist ja, dass besonders die älteren Jobsuchenden in ihrer Weiterbildung auf vorhandenem Wissen und ihrer oft spannenden Berufspraxis aufbauen. Ein berufliches Update mit einer Weiterbildung zur „Digital-Change-Managerin (IHK)“ oder zum „Online-Marketing-Manager (IHK)“ kann da bereits Wunder wirken und den Wiedereinstieg in den nächsten Job erleichtern. So wie bei Martina, die nach ihrer Weiterbildung „Professional Scrum Master“ im agilen Projektmanagement eines überregionalen IT-Dienstleisters gestartet hat, oder wie Silke, die nach sehr langer Elternzeit über die Online-Marketing-Weiterbildungen als Marketing-Managerin durchgestartet ist.

Mit Seminaren und Weiterbildungen beispielsweise zu Online-Themen oder Management-Skills schaffen auch viele Beschäftigte bei uns ihr berufliches Update. Die Arbeitsagentur erstattet dem Arbeitgeber dann über das Qualifizierungschancengesetz oft nicht nur die Kosten der Weiterbildung, sondern auch den Lohn.

Neues Spiel durch qualifizierte Ausbildung

Bisweilen erwächst auch bei Älteren der Wunsch oder die Notwendigkeit, beruflich noch einmal etwas völlig anderes zu tun. Entweder bietet die Branche keine Perspektive mehr – wie zum Beispiel beim Papiermachermeister – oder die Tätigkeit muss eine andere werden, weil beispielsweise die Arbeit als weltweit agierender Vertriebsingenieur schlichtweg zu anstrengend und zehrend geworden ist, wenn man die Fünfzig überschritten hat. Also wie kann durch eine Weiterbildung mit Ü50 noch ein komplett neues Spiel, also ein Branchenwechsel oder Tätigkeitswechsel, begonnen werden?

Gerade für Ingenieur*innen, Meister*innen oder Techniker*innen eignet sich unsere Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit. Diese ist im eigentlichen Sinne gar keine Berufsausbildung, sondern eine sechsmonatige Weiterbildung in Vollzeit. Sie bietet eine umfassende und fachlich tiefe Qualifizierung für den betrieblichen Arbeitsschutz und ist sozusagen unsere prädestinierte Weiterbildung für Ältere. Berufs- und Lebenserfahrung sind hier schließlich besonders nützlich. Viele Absolvent*innen hatten im letzten Betrieb andere Aufgaben, zum Beispiel in Leitung, Produktion, Konstruktion, Projektmanagement oder Vertrieb. Als verantwortliche Arbeitsschutzfachkräfte beraten Sie dann im neuen Job in der Regel direkt die Unternehmensleitung und erfüllen eine verantwortungsvolle Aufgabe. Besonders häufig gelingt durch diese Weiterbildung auch der Branchenwechsel.

Beratung 50 Plus – Wo geht meine berufliche Reise hin?

Jobsuchende 50 Plus sind oft das erste Mal nach langer Zeit oder gar erstmalig im langen Berufsleben arbeitslos. Und obwohl viel Berufserfahrung und vielleicht gar Führungs- und Geschäftsverantwortung vorhanden ist, ist die Verunsicherung groß, wie die Jobsuche und die neue Positionierung denn nun anzugehen ist.

Dies erfahren wir regelmäßig in unseren Beratungsgesprächen mit älteren Personen, die sich gerade zwischen zwei Jobs befinden. Nicht nur neue Standards in Sachen Lebenslauf und Anschreiben sind bei uns Thema im Erstgespräch, sondern oft mehr sogar die Fragen nach beruflicher Neuaufstellung und möglichen neuen Perspektiven. Die Weiterbildung bei uns ist dabei oft nur ein kleiner Baustein der Karriereplanung, wenngleich ein guter Plan B. Oft ergibt sich der individuelle, persönliche Qualifizierungs-Reiseplan dabei erst im Verlauf des Gesprächs – nach dem gegenseitigen Kennenlernen und der gemeinsamen Ausschau nach Perspektiven. Das Schöne für uns dabei ist, dass in diesen Tagen in der Regel bereits eine kurze, knackige Weiterbildung in den neuen Job mündet, auch für Jobsuchende 50 Plus.

Inspiration und neues Wissen

Im vergangenen Jahr absolvierte ich mit 53 Jahren die Weiterbildung zum „Professional Scrum Master“ und setzte gleich noch den Product Owner und Agile Leadership nach Scrum oben drauf. Als Trend-Forscher in Sachen Veränderung der Arbeitswelt war meine Absicht, die neuen Formen des Arbeitens, die unter anderem durch Scrum repräsentiert werden, zu durchdringen und zu erlernen. Dabei habe ich vieles über neue Wege der Zusammenarbeit, Teamentwicklung und Wertewandel erfahren und gelernt. Nun bin ich zwar kein Bewerber im engeren Sinne, aber für unsere LVQ-„Werbung“ – sei es bei Messen oder Geschäftspartnern – ist das neue Wissen unschätzbar. Manches Gelernte ist vielleicht nicht 1:1 umsetz- und anwendbar, aber die Resultate der Weiterbildung beeinflussen meine Arbeit unmittelbar.

Überdies hat mir die Weiterbildung große Freude bereitet, denn neben neuen Impulsen, Erkenntnissen und Wissen war sie eine Challenge im tatsächlichen Wortsinn. Auch aus dieser eigenen Erfahrung heraus kann ich die Herausforderung einer beruflichen Weiterbildung durchaus empfehlen.

Und Sie? Welche Erfahrungen haben Sie mit beruflichen Weiterbildungen gemacht? Konnten Sie danach beruflich punkten? Im neuen Job oder im bewährten?


 


 

 

 

 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.

Die LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Online-Präsenzunterricht mit Dozent*innen aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.

Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

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1 Kommentare

21. März 2023

Ältere Menschen sollten nicht unterschätzt werden, auch mit blick auf die Erfahrungen;)

 

Dorina


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