Vom Doktor der Chemie zum Umweltschützer: Mirko Lindic's unerwarteter Karriereweg

06.06.2023, Martin Salwiczek

Diesen Artikel teilen:

Mit 29 Jahren Fachbereichsleiter, das muss man Mirko Lindic erst mal nachmachen. Dabei war der Weg dorthin durchaus steinig. In diesem Interview teilt er seinen ungewöhnlichen Karriereweg, der von Schwierigkeiten bei der Jobsuche über berufliche Weiterbildung hin zu Führungsverantwortung in einer Behörde führt. Lesen Sie, wie er Beruf, Umweltbewusstsein und familiäre Verpflichtungen erfolgreich miteinander vereint.

Martin Salwiczek: Mirko, du bist mit 29 Jahren Fachbereichsleiter der Unteren Umweltschutzbehörde. Kannst du uns kurz erzählen, wie du das geschafft hast?

Mirko Lindic: Gerne. Die Kurzfassung ist, dass sich die Jobsuche nach meiner Promotion etwas schwieriger gestaltete als erwartet. Deshalb habe ich vor einem Jahr noch eine sechsmonatige Fortbildung bei der LVQ absolviert und kurz vor Abschluss der Fortbildung eine Stelle bei einem kommunalen Umweltamt in Wesel angetreten. Bei einer Netzwerkveranstaltung lernte ich dann aber relativ schnell Leute vom Umweltamt Oberhausen kennen. Wir haben sehr gute Gespräche geführt, woraufhin ich gefragt wurde, ob ich mich nicht bewerben wolle. Ich war zwar mit meiner Arbeit in Wesel zufrieden, aber die Stelle in Oberhausen war wesentlich attraktiver. Seit zwei Monaten leite ich nun das Untere Umweltamt der Stadt Oberhausen.

Martin Salwiczek: Wahnsinn, innerhalb eines Jahres vom Berufseinsteiger zur Führungskraft! Schauen wir doch einmal genauer hin, wie es dazu kam. Für viele promovierte Naturwissenschaftler ist der Wechsel von der Forschung nicht so einfach. Wie hast du das erlebt?

Mirko Lindic: Die ersten Erfahrungen waren tatsächlich sehr ernüchternd. Man geht ja mit der Einstellung rein, dass man sich mit einem Doktortitel die Jobs quasi aussuchen kann. Schön wär’s!

Ich glaube, ich habe mich in den ersten Gesprächen gut verkauft. Aber entweder war ich den Leuten zu teuer oder ich wurde wegen mangelnder Praxiserfahrung abgelehnt. Ein paar Mal bekam ich sogar die Rückmeldung, dass man befürchtet, ich würde die Stelle nur als Übergang sehen und schnell wieder weg sein, wenn ich erste Erfahrungen gesammelt habe! Auch was meine ursprünglichen Gehaltsvorstellungen angeht, wurde ich erst mal auf den Boden der Tatsachen geholt: Nicht nur ich, auch fast alle promovierten Berufseinsteiger, die ich kenne, mussten beim Gehalt Abstriche machen. Man kann nicht erwarten, dass man sofort nach Tarif bezahlt wird oder als Berufseinsteiger 83.000 Euro im Jahr verdient.

Von der Laborbank zur Büroklammer: Weiterbildung als Weichensteller

Martin Salwiczek: Du hast gesagt, dass du für einige Stellen durch den Doktortitel überqualifiziert warst. Hattest du nicht die Befürchtung, dass du das Problem durch die Weiterbildungen noch verschärft hast?

Mirko Lindic: Ich wollte mich durch die Weiterbildungen nicht weiter spezialisieren, sondern mich für andere Bereiche attraktiver machen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es dort, wo ich wohne, nicht so viel chemische Industrie gibt. Aufgrund meiner familiären Situation - und da ich in meiner Heimatstadt sehr verwurzelt bin - kam ein Umzug nicht in Frage. Daher war es für mich naheliegend, mich breiter aufzustellen.

Martin Salwiczek: Ich kann mir vorstellen, dass es anfangs nicht einfach war, sich nach einem intensiven und anstrengenden Studium noch einmal für ein halbes Jahr mit Weiterbildung zu beschäftigen ...

Mirko Lindic: Ich hatte nach meinen ersten Bewerbungserfahrungen eine neue Motivation. Ich fand es wichtig, einen Überblick zu bekommen, was außerhalb der Chemie für mich möglich ist, deshalb haben mich die Themen Umweltmanagement, Qualitätsmanagement und Arbeitssicherheit sehr interessiert.  Neben den Weiterbildungsthemen gab es auch Kommunikationstrainings. Die Bewerbertrainings waren hilfreich und man hat von den Dozenten und Teilnehmern Informationen bekommen, die in keinem Lehrbuch stehen: Wie ticken Führungskräfte, wer hat welche Aufgaben, wie vernetzt man sich im Unternehmen ...

So hat mir die Weiterbildung viel mehr gebracht, als ich anfangs gedacht hätte: Ich habe viel über mich gelernt und darüber, was ich noch kann.

Dadurch bin ich auch im Bewerbungsprozess entspannter geworden, weil ich gemerkt habe, was ich wert bin und dass ich nicht als Bittsteller zu den Firmen gehen muss. Das war dann auch ausschlaggebend für meinen ersten Job nach der LVQ.

Martin Salwiczek: Erzähl …

Mirko Lindic: Rückblickend finde ich es spannend, dass ich mich bei allen mir bekannten Jobbörsen angemeldet hatte, aber den entscheidenden Tipp von meiner Arbeitsvermittlerin bekam. Als ich die Stellenausschreibung las, dachte ich: Wow, das passt perfekt! Die Stelle passte zu allem, was ich in der Weiterbildung gelernt hatte. Ich habe mir alles aus dem Bewerbungstraining zu Herzen genommen und direkt angerufen, noch bevor ich eine Bewerbung geschrieben hatte. Daraus ergab sich ein langes Fachgespräch mit dem Vorgesetzten, auf das ich in meinem Anschreiben super verweisen konnte. Die Einladung kam relativ schnell. Ich bin ganz entspannt zum Vorstellungsgespräch gefahren, das dann auch sehr gut gelaufen ist. Ich hatte direkt danach ein gutes Gefühl und keine vier Stunden später kam auch schon die telefonische Zusage.

Tägliche Herausforderungen: Die Rolle eines Fachbereichsleiters

Martin Salwiczek: Es ist schön zu sehen, dass die Weiterbildung einen nicht nur fachlich, sondern auch mental weiterbringt. Aber zurück zum Fachlichen. Was macht eigentlich eine Umweltbehörde?

Mirko Lindic: Im Umweltrecht gibt es so genannte ‚genehmigungspflichtige Vorhaben‘. Wenn zum Beispiel jemand eine große Anlage bauen will, die die Umwelt in irgendeiner Weise beeinflussen könnte, oder wenn jemand Umweltressourcen nutzen will, dann muss das von einer Behörde geprüft und genehmigt werden. Wir überwachen die Einhaltung der Umweltvorschriften, damit die Belastung so gering wie möglich ist. Dazu gehört die Überwachung von Fließgewässern und Grundwasser - zum Beispiel bei Anlagen mit wassergefährdenden Stoffen, wie Tankstellen.

Oder bei Anlagen, die viele Gase produzieren und emittieren, die besonders laut oder hell sind.

Alles, was mit Abfall zu tun hat, also die Verbrennung, die Abfallbehandlung, die Verbrennungsöfen ... das ist zum Teil bei den übergeordneten Behörden angesiedelt, zum Teil aber auch bei uns. Das muss alles sehr genau überwacht werden, damit die Umwelt so wenig wie möglich geschädigt wird.

Martin Salwiczek: Welche Rolle spielst du dabei, und was von dem, was du bei uns gelernt hast, wendest du in deiner täglichen Arbeit an?

Mirko Lindic: Das ist ein breites Spektrum. Ganz klar das Wissen aus dem Umweltmanagementkurs. Das umfasst alle relevanten Rechtskunden, die für die entsprechenden Gesetze grundlegend sind. Die ganze Ausbildung war sozusagen eine Anleitung für meine Arbeit. Auch die Ausbildung zur Fachkraft für Arbeitssicherheit war sehr wichtig, schließlich bin ich als Führungskraft für die Gesundheit meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich. Das bringt mir sehr viel, zumal Kommunikation und Führung zentrale Aspekte sind. Schließlich muss man auch und gerade bei unangenehmen Gesprächen mit seinen Mitarbeitern umgehen können. Apropos Führung: Projektmanagement  ist natürlich super wichtig. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, die digitale Datenverarbeitung einzuführen. Da kommt mir das Wissen aus dem Kurs schon zugute.

Der Mythos der verstaubten Behörde: Entwicklung statt Verwaltung

Martin Salwiczek: Mit 29 Jahren Führungskraft in einer Behörde. Behörde, Verwaltung - das hat für viele so einen verstaubten Charakter. Wie ist das für dich?

Mirko Lindic: Als verstaubt empfinde ich es überhaupt nicht. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber merkt man, dass man etwas bewegen und sich weiterentwickeln will. Sonst hätten sie mich mit meinen 29 Jahren wahrscheinlich auch nicht eingestellt. Meine Aufgabe ist es jetzt, dass wir mehr junge Leute hier reinbekommen, die dann auch ein bisschen den Vorwärtsgeist oder frischen Wind mitbringen.

Die Arbeit in einer Behörde ist anders, hat aber auch ihre Vorteile. Sicherheit und Kontinuität sind hier wichtige Faktoren.

Ich habe vier Kinder, die ich durchbringen muss. Da war es mir wichtig, dass ich etwas Stabiles habe, und dann verzichte ich eben auf ein paar Euro. Wenn man meint, man muss richtig viel verdienen, dann kann man natürlich auch in die Industrie gehen, aber dann kann es auch passieren, dass man mit der entsprechenden Arbeit überhäuft wird. Und der Unterschied zwischen meinem Gehalt und dem meiner ehemaligen Kommilitonen, die in der Industrie arbeiten, ist gar nicht so groß.

Mirkos Erkenntnis: Erkenne was Du eigentlich willst und hole dir Informationen in Gesprächen

Martin Salwiczek: Das klingt eigentlich so, als hättest du alles richtig gemacht. Wenn du auf die letzten zwei Jahre zurückblickst, gibt es da etwas, das du im Nachhinein anders machen würdest?

Mirko Lindic: Vielleicht hätte ich mir früher Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich will und wie ich da hinkomme. Aber gleichzeitig war es auch irgendwie ein Prozess, das herauszufinden. Wenn die ersten zehn Bewerbungen ins Leere laufen, man ein paar Absagen bekommt und auch ein paar Einladungen ablehnt, weil man im Nachhinein nicht mehr das Gefühl hat, dass es passt, dann kommt irgendwann der Gedanke Was will ich eigentlich?. Irgendwann habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, was meine Ansprüche sind, was ich gut kann, wo ich hin will. Zum Beispiel musste ich erst ein paar Bewerbungen schreiben, um zu merken, dass mein Bewegungsradius doch eingeschränkt ist, weil ich nicht zwei Stunden nach Leverkusen oder Krefeld pendeln möchte - für eine Strecke. Und dann bin ich einfach dazu übergegangen, mich wirklich nur noch im näheren Umkreis zu bewerben. Das war mein größtes Problem: In meinem Umkreis war die Auswahl in der Chemie sehr begrenzt. Ich habe mich bei der Handvoll beworben, die es gab. Aber die haben mich abgelehnt.

Wenn ich es anders machen könnte, würde ich mir vorher überlegen: Was will ich eigentlich?

Lustigerweise ist das so eine Art selbsterfüllende Prophezeiung: Schon während des Studiums habe ich oft gesagt: Ich arbeite gerne in der Chemie, aber ich möchte eigentlich nicht in eine Branche gehen, die daran arbeitet, den Planeten noch kaputter zu machen. Als Chemiker möchte ich eigentlich etwas dafür tun, dass wir mit der Umwelt besser zurechtkommen. Und jetzt bin ich bei der Umweltbehörde. Gut, wir retten hier auch nicht jeden Tag die Welt, aber im Kleinen vielleicht schon. Jedenfalls ist es so gekommen, wie ich es ‚vorhergesagt‘ habe: Ich nutze meinen chemischen Hintergrund, um etwas für die Umwelt zu tun - nicht gegen sie.

Martin Salwiczek: Gibt es außer dem, was du bereits gesagt hast, noch etwas, was du den LVQ-Teilnehmern und generell Menschen mit einem naturwissenschaftlichen Hintergrund aus deiner Erfahrung mitgeben möchtest?

Mirko Lindic: Ich würde ihnen sagen, dass sie den Mut haben sollten, ihren Horizont zu erweitern und auch Bereiche in Betracht zu ziehen, die sie vorher vielleicht nicht auf dem Schirm hatten. Die naturwissenschaftlichen Fächer sind einfach so wertvoll, Leute mit einem solchen Abschluss können praktisch überall eingesetzt werden - nicht nur in den Kernbereichen. Also jedes Mal, wenn ich in meiner Arbeit hier auf Leute treffe, die einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben und dann umgeschult haben, stelle ich fest, dass man mit denen extrem gut arbeiten kann. Das ist eine ganz andere Basis.

Und: Es lohnt sich immer, noch eine Ausbildung oder Weiterbildung zu machen, wie sie die LVQ anbietet. Die Bereitschaft, sich aus- und weiterzubilden - gerade mit dem langfristigen Ziel vor Augen - ist sehr wichtig. Genauso wie sich zu informieren. Man kann gar sich gar nicht genug informieren, wo man überall arbeiten kann. Diese Informationen habe ich bei der LVQ bekommen. Ansonsten hätte ich sie auch auf Veranstaltungen wie Jobmessen bekommen. Ich würde also sagen: Geht überall hin und holt euch alle Informationen, die es gibt. Sprecht mit den Leuten und seht zu, dass ihr die Informationen bekommt, denn von alleine kommen sie nicht zu euch. Überall hingehen, alles anschauen, alles mitmachen, die Zeit investieren, das ist manchmal viel besser, als sich hinzusetzen und 5 Stunden zu brauchen, um 30 Bewerbungen zu schreiben. Eine Bewerbung zu schreiben kann viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, als einfach mal rauszugehen. Wenn man das nächste Mal auf eine Karrieremesse geht, kann es sein, dass man fünf Minuten mit dem Vertreter seines Wunscharbeitgebers spricht und der sagt: "Kommen Sie doch mal auf einen Kaffee vorbei." Dann habt ihr mit 20 Prozent des Gesamtaufwandes 80 Prozent des Ergebnisses erreicht. Das Pareto-Prinzip - das habe ich von euch gelernt.

MS: Ein perfektes Schlusswort. Mirko, herzlichen Dank.

Mirko Lindic: Danke auch, war schön!


 

 

 

 


 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.

Die LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Präsenzunterricht mit Dozenten aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.

Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

Diesen Artikel teilen:

0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Kommentar