Jobsuche 2023: Finger weg von ChatGPT? Warum bei der Nutzung von KI-Systemen (noch) Vorsicht geboten ist.

17.01.2023, Lars Hahn

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Was ist der wichtigste Trend für die Arbeitswelt im Jahr 2023? Natürlich ist es auch wieder etwas mit Digitalisierung. Die Künstliche Intelligenz (KI) hält derzeit in bisher nicht dagewesener Wucht Einzug in unseren Arbeitsalltag. Tiefgreifend. Unumstößlich.

In den vergangenen Wochen war ChatGPT eines der Hype-Themen in Sachen Digitalisierung. Das vortrainierte System (GPT steht für „Generative Pre-trained Transformer“) wird mit Daten aus dem Internet gefüttert und lernt durch Dialoge mit Anwenderinnen und Anwendern stetig dazu. Wenngleich das System derzeit noch mit Trainingsdaten bis 2021 arbeitet und mit einigen Kinderkrankheiten und Restriktionen versehen ist, wird die Bedeutung der Einführung dieses KI-Systems bisweilen mit dem ersten Smartphone, der Einführung von Amazon oder gar dem Buchdruck verglichen (!). Das für alle seit Kurzem kostenfrei zugängliche ChatGPT kann nämlich vieles: Statistiken aufbereiten, Gedichte verfassen, Computercodes programmieren, Blogbeiträge oder individuelle Bewerbungsanschreiben erstellen und demnächst gar Auditberichte und Managementreviews für Unternehmen anfertigen. Künstliche Intelligenz wird damit in nächster Zeit im Alltag vieler Menschen ankommen. Kurz gesagt: Am Thema KI kommt spätestens jetzt keiner mehr vorbei.

In diesem Beitrag möchte ich dem aktuellen Hype um Künstliche-Intelligenz-Systeme auf den Grund gehen und erforschen, welche Chancen und Risiken Künstliche Intelligenz aktuell für die Arbeitswelt und besonders für unser Thema Bewerbung und Jobsuche birgt.

EDIT 14.03.2023: Die Entwicklung von KI-Plattformen und der Umgang damit ist rasant. ChatGPT lernt durch die Anwender:innen und wir lernen mit ChatGPT. So haben wir in den zwei Monaten seit Veröffentlichung dieses Beitrags recherchiert, diskutiert und dazugelernt. ChatGPT kann mittlerweile ziemlich brauchbare Texte formulieren, wenn man es richtig „füttert“, wer gute Fragen stellt, erhält gute Ergebnisse, sogar bei Bewerbungsanschreiben. Der grundlegende Tenor meines Textes aber bleibt: Vorsicht ist geboten bei allzu unreflektierter Verwendung von ChatGPT-Ergebnissen, bisweilen produziert die Plattform nach wie vor Nonsens, Aktualität kann sie bisher noch nicht und manchmal sind die Texte immer noch aalglatt bis seelenlos. Als hilfreiches Tool der Findung, Strukturierung und Erstellung von Themen und Texten nutzen wir es mittlerweile selbst, wie der Beitrag von Martin Salwiczek zur Berufsorientierung per ChatGPT belegt.

Künstliche Intelligenz: Game Changer im Jahr 2023?

Manche scheinen ChatGPT als Game Changer zu sehen: Digital-Vordenker und Spiegelkolumnist Sascha Lobo sieht in der Einführung von ChatGPT gar „eine Zeitenwende“ in Sachen Digitalisierung und das „Ende der irrelevanten künstlichen Intelligenz“. Bisher waren Künstliche Intelligenz, Machine Learning und neuronales Lernen, wenn wir ehrlich sind, eher nur etwas für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für Nerds und die unausweichlichen Muskfans und Zukunftshyper. Waren sie im Mainstream der Arbeitswelt angekommen? Eher nicht.

Dabei könnte ChatGPT schon jetzt nahezu Blogartikel schreiben, wie Sie ihn gerade lesen, wobei dieser natürlich aus rein menschlicher „Feder“ stammt. ChatGPT kann bereits ein durchaus eloquenter und informativer Interviewpartner zum Thema Zukunft des Lernens sein. Auch wissenschaftliche Hausarbeiten verfasst das System bereits mit Erfolg selbstständig. Nicht umsonst befassen sich Fachleute damit, dass der intelligente Chatbot in nicht allzuferner Zukunft eigenständig journalistische Beiträge, juristische Abhandlungen und insbesondere Finanzanalysen und Sportberichte verfassen wird. Erste Beispiele zeigen erstaunliche Ergebnisse. Nach Einführung von Computer und Internet könnten Chat GPT und seine künstliche Kollegen demnach die nächste Disruption für Arbeitsplätze bedeuten. Die mit dem Job-Futuromat des Insituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu beantwortende Frage nach der Substituierbarkeit oder Automatisierbarkeit von Aufgaben und Berufen (also kurz gesagt „kann weg durch Digitalisierung“) stellt sich ab jetzt also noch einmal völlig neu.

Bewerbung mithilfe Künstlicher Intelligenz?

Aber was machen nun eigentlich Chat-GPT und Co.? Welche Konsequenzen hat dies für die Arbeit – in unserem Fall für die Arbeit von Bewerberinnen und Bewerbern?

ChatGPT beantwortet Fragen von Nutzenden, wurde aber – anders als seine unsäglichen Chatbot-Urahnen, die bisweilen sehr eingeschränkte Antwortmöglichkeiten zur Verfügung hatten – mithilfe maschineller Lernverfahren auf eine riesige Datenmenge (mehrere Milliarden Wörter) trainiert, um menschenähnliche Texte zu generieren. Dadurch ist ChatGPT in der Lage, auf eine Vielzahl von Themen und Anfragen zu antworten und sich wie ein menschlicher Gesprächspartner zu verhalten.  Wie schnell und pfiffig der intelligente Chatbot arbeitet, wird in meinem LinkedIn-Post an einem Beispiel zum Thema Lebenslauf erkennbar.

Es liegt nahe, dass Menschen mit dem Gedanken spielen, aufwendig und mühsam zu erstellende Texte wie Arbeitsproben, PowerPoint-Präsentationen oder Hausarbeiten künftig von KI-Systemen verfassen zu lassen. Für viele Bewerberinnen und Bewerber steht dabei das klassische Anschreiben der Bewerbung an vorderster Stelle: Nicht jeder ist schließlich geborener Verfasser von professionellen Texten und Motivationsschreiben. ChatGPT könnte dies spielend übernehmen, indem der KI einfach der Jobtitel, die Position und die zu besetzende Stelle genannt und das System aufgefordert wird „Verfasse mir ein Anschreiben…“. Daraus ergibt sich die Frage: Ist die KI somit ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Automatisierung des Bewerbungsprozesses?

Versuch: Das Bewerbungsanschreiben per ChatGPT

Recruitainment-Experte und Blogger Jo Diercks hatte das kürzlich getestet: „Wenn der Chatbot das Anschreiben verfasst…“ – lesenswert und mit erstaunlich ansehnlichen Ergebnissen. Weil Menschen bequem sind und sich mühsame Arbeitsprozesse gerne abnehmen lassen, wird das KI-System ab sofort garantiert auch für das Erstellen von Anschreiben, Arbeitsproben u. ä. genutzt werden. Doch ist das bereits risikofrei möglich?

Ich habe das selbst mal ausprobiert und mich per ChatGPT auf die aktuell bei der LVQ ausgeschriebene Stelle für Online-Kommunikation beworben. Ganze 50 Sekunden hat ChatGPT benötigt, mir das Anschreiben zu verfassen. Das Ergebnis lässt sich auf den ersten Blick durchaus sehen:

Lars Hahn:„Schreibe eine außergewöhnliche Bewerbung für einen 57-jährigen Bewerber als "digitaler Thermomix" bei der LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH für eine Stelle als Online-Marketing- und Social-Media-Manager.“

ChatGPT:Sehr geehrte xxx,

mein Name ist [Name] und ich bewerbe mich auf die Stelle des Online-Marketing- und Social-Media-Managers. Mit 57 Jahren bringe ich eine Menge Lebenserfahrung und Know-how in diesem Bereich mit und bin überzeugt, dass ich genau der richtige Kandidat für Ihr Unternehmen bin.

Als "digitaler Thermomix" bin ich in der Lage, unterschiedliche Aufgaben und Herausforderungen im Online-Marketing und in den sozialen Medien zu meistern. Meine Flexibilität und mein Verständnis für neue Trends und Entwicklungen im digitalen Bereich sind meine Stärken und ich bin immer bereit, neue Herausforderungen anzunehmen und meine Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Neben meiner langjährigen Erfahrung in der Online-Welt habe ich auch ein abgeschlossenes Studium in Marketing und Kommunikation, was mir das nötige Rüstzeug für diese anspruchsvolle Stelle gibt.

Ich bin überzeugt, dass ich ein wertvoller Teil Ihres Teams sein werde und freue mich auf die Möglichkeit, mich Ihnen persönlich vorzustellen.

Mit freundlichen Grüßen


Dieses Anschreiben von ChatGPT ist klar strukturiert, es nimmt einige Stichworte auf und doch fehlt irgendetwas: Es gibt keinen wirklichen Unternehmens- und Branchenbezug, ein wirkliches Motiv für die Bewerbung ist neben dem üblichen „Bewerbersprech“ schwer zu erkennen. Und genau das ist der Punkt: Das Anschreiben wirkt beliebig, als eines von vielen, es fehlt Persönlichkeit, Charakter oder „klare Kante“, wie Karrierecoach Bernd Slaghuis es für ein Anschreiben empfehlen würde.

Vorsicht bei der Bewerbung per ChatGPT!

ChatGPT weist überdies - zumindest derzeit - noch andere Schwächen auf, weswegen ich aktuell noch dazu rate, das System mit Vorsicht zu genießen:

  • Die ausgespielten Ergebnisse von durch ChatGPT erstellten Bewerbungsanschreiben wirken arg glatt, beliebig und unpersönlich. Insbesondere die Vorteile eines Anschreibens für Bewerberinnen und Bewerber mit besonderen Motiven und speziellen Lebensläufen wie zum Beispiel bei Quereinstiegen et cetera kann eine künstliche Intelligenz nicht ausspielen. Ein Test, wie oben zur ausgeschriebenen Stelle, mag Inspiration für die Struktur des Anschreibens geben und für ein gutes formelles Gerüst hilfreich sein. Spätestens die kreative Bezugnahme auf das Unternehmen und seine Kultur oder die Erklärung von individuellen Motiven und besonderen Hintergründen erfordern jedoch mehr als Künstliche Intelligenz: nämlich den menschlichen Faktor. Lassen wir das ChatGPT selbst formulieren:

KI-Systeme sind zwar mittlerweile sehr fortschrittlich und leistungsfähig, aber sie sind noch immer weit davon entfernt, perfekt zu sein. Sie sind zwar in der Lage, menschenähnliche Texte zu generieren und Aufgaben zu erledigen, die für Menschen anstrengend oder langweilig sind, aber sie sind nicht in der Lage, die Feinheiten und Nuancen menschlicher Interaktionen vollständig zu verstehen.

  • Spätestens wenn ChatGPT auf Informationen des Unternehmens Bezug nimmt, sollten die genannten Fakten überprüft werden. In der aktuellen Phase des KI-Projektes „zaubert“ das System nämlich auch wahr klingende Falschinformationen zu allerlei Anfragen. Der Ex-Bundeskanzlerin Merkel dichtete ChatGPT eine Mitgliedschaft bei den Grünen an. Die Stadt Bochum erhielt durch die KI einen nicht existenten Flughafen. Überdies sind die Ergebnisse auch aus rechtlichen Gründen mit Vorsicht zu genießen: Wo kommen die Informationen eigentlich her, die das System hervorkramt? Klaue ich beispielsweise mit meiner durch ChatGPT erstellten Hausarbeit gerade geistiges Eigentum anderer Urheberinnen und Urheber?
  • Die eigene, händische Recherche über Google oder die Webseite sind indessen also (noch) wesentlich sicherer und verlässlicher. Erst zukünftig mag die Stärke eines KI-Systems darin liegen, genau die Informationen auf eine Frage zusammenzusammeln, die zutreffen (eben Big Data). Sobald es soweit ist, erspart uns die KI dann die mühsame Recherche auf Unternehmenswebseiten, bei XING und LinkedIn. Aktuell würde ich jedoch aufgrund der oben beschriebenen Unschärfen und Fehler lieber auf „good old“ Google oder die Businessnetzwerke zurückgreifen, die ich gerne liebevoll „Big-Data für Bewerber“ nenne.
  • Und hier schließt sich der Kreis: Künstliche Intelligenz und Automatisierung verleiten dazu, möglichst wenig menschliche Energie in Prozesse zu investieren. Bereits die Jobbörsen mit ihren automatisierten und vermeintlichen Alerts suggerieren eine effizient optimierte Jobsuche, die zu den Gedanken verleitet: „Da muss ich ja gar nicht selber suchen“. Künstliche Intelligenz wie ChatGPT könnte diesem blinden Automatisierungsglauben jetzt noch einmal Vorschub leisten.
  • Dabei lebt eine wirklich intelligente Jobsuche von vielfältiger, teils intuitiver Recherche in vielen Kanälen. Sie profitiert von zwischenmenschlichen Kontakten in den Businessnetzwerken und Gesprächen im realen Leben, von persönlichen Erkenntnisprozessen und menschlichen Lernerfahrungen, dem, was ich gerne „Systematisch Kaffeetrinken“ nenne.

All das kann künstliche Intelligenz nicht leisten. Zumindest noch nicht.

Erstes Fazit: KI mit gesunder Kritik und neugieriger Lernbereitschaft begegnen

Die aktuelle Diskussion um ChatGPT und ähnliche Systeme offenbart, was dem digitalen Wandel generell zueigen ist. Die Veränderungen kommen mit einer hohen Dynamik. Man weiß nie, was wirklich das „nächste große Ding“ ist. Umso wichtiger ist einerseits, gerade für Bewerberinnen und Bewerber, nicht blind auf neue Trends zu vertrauen und unreflektiert neue Systeme und Tools zu nutzen, weil es „cool“ und bequem ist.

Andererseits ist es eben auch entscheidend, am Puls der Zeit zu bleiben und sich über aktuelle Trends zu informieren. Dazu sind auch unsere Weiterbildungen hilfreich, die sich mit der Digitalisierung und den aktuellen Entwicklungen befassen.

Überdies lohnt es sich mit den neuen Tools und Trends zu spielen. Die Grenzen von ChatGPT auszutesten, macht hierfür sogar Spaß. Kritisches Verfolgen und Recherche von neuen Entwicklungen komplettieren den Lernmix. Ich handhabe das so: Für diesen Beitrag, aber auch zu anderen Themen informiere ich mich über zwei, drei journalistische Quellen, ich folge Vordenkern, Bloggern oder Trendschnüfflern bei LinkedIn und Twitter (ja! Immer noch.) und komme allein dadurch auch stets mit Fachbeiträgen zum Thema in Berührung. Probieren auch Sie das gerne aus.

Tipp: Zum Thema KI und ChatGPT empfehle ich zur weiteren Vertiefung gerne noch Tech-Blogger und Podcaster Sascha Pallenberg. Bei aktuellen Trends wie ChatGPT redet er immer Tacheles, ist stets eine Nasenlänge voraus und dabei äußerst kompetent, umfangreich und gleichzeitig unterhaltsam. Vielen Dank dafür, Sascha!

Ist die ChatGPT AI der ultimative Google Killer? - Podcast und Artikel bei MeTacheles


 


 

 

 

 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Angela Borin, Lars Hahn und Martin Salwiczek.

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Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

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1 Kommentare

19. Januar 2023

Vielen Dank fuer das nette Feedback und den Link rueber zu meinem Artikel. Darueber bin ich erst auf diese hervorragende Zusammenfassung aufmerksam geworden.

 

Viele Gruesse aus Taipei


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