Ursprünglicher Beitrag vom 23.02.2017
Die beruflichen Möglichkeiten für Geisteswissenschaftler*innen sind über den Lehrerberuf hinaus so vielfältig wie nie zuvor. Dennoch gestaltet sich der Berufseinstieg für viele schwierig, denn blickt man auf die öffentlichen Stellenbörsen, sind zum Studiengang passende Stellen rar gesät. In der überschaubaren Menge passender Stellen werden dann zusätzlich Kenntnisse, Qualifikationen oder Erfahrungen gefordert, die geisteswissenschaftliche Berufseinsteiger*innen gar nicht vorweisen können. Ohne Praktika oder erworbene Zusatzqualifikationen während des Studiums wird es schwierig mit dem Berufseinstieg. Nicht einfacher wird es, wenn davor die Frage steht, was man überhaupt beruflich machen möchte.
In diesem Beitrag möchten wir Ihnen Ideen und Impulse geben, wie Sie als Geisteswissenschaftler*in – das schließt die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften sowie Orchideenfächer mit ein – die schwierige Phase des Berufseinstiegs bewältigen können.
Gute Arbeitsmarktperspektiven für Absolventen der Geisteswissenschaften
Eine positive Nachricht vorweg: Geisteswissenschaftler sind in der Arbeitswelt gefragt, mehr als je zuvor. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) von 2019. Galten Geisteswissenschaften vor einigen Jahren noch als brotlose Kunst und wurden auf die Berufsbilder der Lehrerin oder des Taxifahrers reduziert, zeigen die nackten Zahlen ein anderes Bild: Die Erwerbsquote liegt im Durchschnitt der Bevölkerung. Die Mehrheit der Geisteswissenschaftler ist weder geringfügig noch befristet beschäftigt oder in Solo-Selbstständigkeit tätig. Auffällig ist dabei die Variationsbreite der Jobs und Branchen von Geisteswissenschaftlern: Die Hälfte der Geisteswissenschaftler arbeitet in Berufen und Branchen, in denen der Bezug zum geisteswissenschaftlichen Studium auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Wo die Stärke von Geisteswissenschaftlern liegt, bringt Thomas Sattelberger, ehemals Personalvorstand der Telekom, in einem Interview auf den Punkt:
„Mit Freude sehe ich, welche Begabungen in Geistes- und Sozialwissenschaftlern stecken, mit welchem Tiefgang in diesen Fächern gelehrt wird. Das brauchen wir dringend. Unternehmen sind Gebilde, die nicht geistige Routine stupide reproduzieren, sondern wo man substantiell Themen hinterfragen muss.“
Ähnlich sieht es Dr. Nico Rose, Wirtschaftsprofessor und Entwickler des Creative Management Programm von Bertelsmann. Seiner Ansicht nach unterscheiden sich Geisteswissenschaftler von Studenten anderer Fachrichtungen „etwa in der Frage, wie sie Probleme strukturieren, oder allein schon, welche Probleme sie interessant finden. Oder wie sie zur Lösung kommen.“
Wie auch das Motto der Bertelsmann-Webseite (Bild links) zeigt: Geisteswissenschaftler sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Warum fällt es den meisten von ihnen dann so schwer, einen Einstieg zu finden?
Berufseinstieg nach den Geisteswissenschaften – aller Anfang ist schwer
Nicht jeder geisteswissenschaftliche Berufseinsteiger möchte Führungskraft bei Bertelsmann werden. Viele Geisteswissenschaftler suchen einen Job, der zu ihrem Leben passt und in dem sie ihre Stärken und Interessen einsetzen können. Andere wissen noch gar nicht so genau, wo die Reise hingehen soll und müssen Stärken und Interessen zunächst beleuchten. So erging es auch unserer Kollegin Angela Borin, die mit ihrem geisteswissenschaftlichen Studium eben nicht Lehrerin werden wollte, aber sich über die eigene Richtung auch noch nicht völlig klar war.
Gerade der Berufseinstieg stellt nicht nur deswegen für viele Absolventen eine große Hürde dar. Andreas Pallenberg, 25 Jahre lang Leiter des Infodienstes des Wissenschaftsladens Bonn, erklärt die Schwierigkeiten der Jobsuche:
„Der Arbeitsmarkt hat sich stark verändert. Viele haben den Wunsch, im Berufsleben fest anzukommen. Aber der Arbeitsmarkt ist mittlerweile sehr zerklüftet. Die eine feste Stelle bis zum Lebensende gibt es praktisch nicht mehr. Typisch sind dagegen befristete Stellen. Viele erleben auch Phasen der Arbeitslosigkeit oder sind für einige Zeit freiberuflich tätig, um eine schwierige Phase zu überbrücken.“
Das Praktikum als Mittel zum Berufseinstieg
Diese Erfahrungen machen viele Geistes- und Sozialwissenschaftler nach dem Studium. Über 300 Bewerbungen schrieb die Sozialwissenschaftlerin Sylvia Förster in vier Jahren nach ihrem Studium. „10 Monate war ich angestellt, die restliche Zeit habe ich überwiegend Praktika gemacht“, sagt sie in unserem Blog.
Nicht selten sind Praktika deswegen auch mit vielen Vorurteilen behaftet, die sich vom stetigen Kaffeekocher über den Postdienst bis hin zum „Mädchen für alles“ standhaft halten. Dass es aber auch anders geht, zeigt sowohl eine kleine Online-Marketing-Agentur in Neukirchen-Vluyn als auch das Beispiel von Tobias Quiram.
Der Germanist und Kommunikationswissenschaftler absolvierte im Rahmen seiner Weiterbildung ein Praktikum bei der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf und konnte dort sein zuvor erworbenes Theoriewissen in die Praxis bringen. Zwar wurde er nicht direkt übernommen, hinterließ jedoch so einen guten Eindruck, dass er ein Jahr später beschäftigt wurde:
„Die Jobsuche läuft ganz anders als die Suche nach einem Praktikumsplatz. Gerade deswegen war die spätere Übernahme durch das vorangegangene Praktikum wirklich ein Glücksfall für mich.“
Doch nicht jeder Student findet sich in absolvierten Praktika wieder oder kann es sich überhaupt leisten, längere schlecht- oder unbezahlte Praktika zu machen. Viele Studenten finanzieren das Studium durch Nebenjobs, pflegen ihre (Groß-)eltern oder müssen den Spagat zwischen Studium und Erziehung der Kinder hinbekommen. Als Berufseinsteiger haben sie mit erschwerten Bedingungen bei der Jobsuche zu kämpfen, da es ihnen an ersten Berufserfahrungen und Orientierung fehlt.
Den Arbeitsmarkt für Sozial- und Geisteswissenschaftler kennen
Gianna Reich unterstützt Geisteswissenschaftler beim Berufseinstieg. Im Interview empfiehlt sie Berufseinsteigern eine eingehende Analyse des Arbeitsmarktes:
„Was für Jobs sind ausgeschrieben und in welchen Branchen sind diese Jobs? Kann mir vielleicht ein Career-Service helfen, oder die Agentur für Arbeit? Es gibt auch Jobbörsen speziell für Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler, an denen man sich prima orientieren kann. (...) Manchmal stecken passende Stellen hinter Berufsbezeichnungen, mit denen man so erst mal nichts anfangen kann. Für einen Jobsuchenden ist es wichtig, dafür ein Gefühl zu bekommen. Gerade Geisteswissenschaftler arbeiten häufig in Schnittstellenfunktionen, die nicht so einfach zu benennen und daher auch schwer zu finden sind. Das hat man am Anfang der Jobsuche gar nicht so auf dem Schirm.“
Blogs, wie der des Wissenschaftsladens Bonn oder „Brotgelehrte“ von Mareike Menne, geben einen guten Überblick über verschiedene Berufe für Geisteswissenschaftler. Auch die Recherche über XING oder Linkedin eignet sich dafür gut.
Netzwerken für den Berufseinstieg im (verdeckten) Arbeitsmarkt
Nach der Recherche über mögliche Berufsfelder werden Geisteswissenschaftler schnell merken, dass für sie andere Regeln gelten als für viele andere Berufseinsteiger. Als Generalisten sind sie häufig in Berufen tätig, die sich in offenen Stellen- und Jobbörsen eher selten finden lassen. Stattdessen finden Geisteswissenschaftler ihren Job über den verdeckten Arbeitsmarkt, wo Stellen über persönliche Kontakte und Empfehlungen vergeben werden.
Damit sich diese Chance jedoch bietet, ist der Aufbau und die Pflege des eigenen Netzwerks entscheidend. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie wenig bis keine Berufserfahrung haben oder längere Karrierepausen eingelegt haben. Wie Angela Borin im Artikel „Netzwerken für Einsteiger“ betont, „verfügen alle Menschen über ein eigenes Netzwerk. Sie müssen es sich nur bewusst vor Augen führen, […] um die eigenen Fühler ausstrecken zu können.“
Auch Lars Hahn beschreibt im Interview mit dem Wissenschaftsladen Bonn, wie man sein Netzwerk bei der Jobsuche systematisch einbezieht. Die eigenen Kontakte sollten wissen, dass man auf Suche ist und wonach man sucht. Wichtig hierbei ist die Haltung, nicht als Bittsteller ins Gespräch zu gehen, sondern als Gesprächspartner, der Informationen sammelt:
„Es geht nicht darum, den anderen mit den eigenen Bewerbungsunterlagen zuzumüllen, sondern ihn zu fragen: Was tust du eigentlich? Wie bist du an den Job gekommen? Was braucht man dafür? So macht man Marktforschung in eigener Sache“, resümiert Lars Hahn.
Je nach Schätzung werden 50-70 Prozent der Stellen in Deutschland über den verdeckten Arbeitsmarkt vergeben. Die Nutzung von Businessnetzwerken wie LinkedIn oder der Besuch von Job- und Fachveranstaltungen ist ebenfalls ein probates Mittel der Jobsuche im verdeckten Arbeitsmarkt:
„Die Bewerbung auf eine Stellenanzeige ist mittlerweile old-school. Wichtiger ist der persönliche Kontakt über Messen oder die direkte Ansprache von Menschen. Das ist zwar nicht jedermanns Sache, aber beim einfachen Schriftverkehr ist man nur ein Name auf einem Stück Papier. Die besten Bewerbungsunterlagen kommen einfach nicht an den persönlichen Auftritt ran“, weiß Dominik Timmerbeil (links im Bild), der heute für den Weiterbildungsanbieter damago arbeitet, aus eigener Erfahrung. Auch ihm erging es bei seiner Jobsuche so wie vielen anderen Geisteswissenschaftlern: Über herkömmliche Wege wollte es mit dem Berufseinstieg nicht klappen.
Weiterbildung als Schlüssel für den Berufseinstieg
Wie auch Sylvia Förster und Tobias Quiram machte Dominik Timmerbeil eine Weiterbildung nach dem Studium. Bei allen dreien war die Weiterbildung ein bedeutender Baustein für die Jobsuche. Diese bekamen sie während der Arbeitssuche von der Agentur für Arbeit über den Bildungsgutschein komplett finanziert. Dieser Bildungsgutschein kann ausgegeben werden, wenn bestimmte Qualifikationen fehlen, die auf dem Arbeitsmarkt gefordert werden.
Dominik Timmerbeil profitierte von seinen Weiterbildungen in den Bereichen Projekt- und Qualitätsmanagement. Seinen jetzigen Job bekam er durch seinen Bildungsträger, die LVQ, vermittelt. Tobias Quiram und Sylvia Förster machten unter anderem die Weiterbildung zum Social Media Manager und nutzten das Gelernte für ihren neuen Job im Medienbereich.
„In manchem Fall ist so eine Weiterbildung mehr wert als ein Studium. Bei einer Agentur oder Softwarefirma würde jemand mit Qualifikationen etwa in Suchmaschinenoptimierung – wenn er pfiffig ist in dem Thema – eher genommen werden als ein Bewerber mit Promotionsabschluss“, so Gianna Reich.
Auch die Agentur für Arbeit bewertet Zusatzqualifikationen nach dem Studium positiv und fördert diese bereitwillig. Lars Normann, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Bonn/Rhein-Sieg, berichtet in einem Beitrag der FAZ von sehr guten Erfahrungen bei der anschließenden Vermittlung. So fänden zum Beispiel circa 80 Prozent der Teilnehmer nach der Weiterbildung zum Projektmanager zeitnah eine Stelle.
Bei geisteswissenschaftlichen Hochschulabsolventen, die sich in Bereichen wie Online-Redaktion, Social Media, Online-Marketing oder Qualitätsmanagement weiterbilden, liegt die Quote ähnlich hoch – so unsere Erfahrung bei der LVQ. Immer gefragter werden zudem Kenntnisse in agilen Methoden wie Scrum oder Design Thinking. Dem Thema „Weiterbildung für Geisteswissenschaftler“ haben wir jedoch einen eigenen Artikel gewidmet.
Abschließen möchten wir mit den Worten Dominik Timmerbeils: „Bleibt dran und lasst Euch nicht unterkriegen. Auch wenn es seine Zeit dauert: Es gibt immer eine Tür, die sich öffnet. Das Ganze ist es wert!“
Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.
Die LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Online-Präsenzunterricht mit Dozent*innen aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.
Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.
[…] Du vom holprigen Weg einer Geisteswissenschaftlerin ins Arbeitsleben und erhältst wertvolle Tipps, wie auch Du diesen Weg am besten beschreitest, um die schwierige Phase des Berufseinstiegs und der Arbeitslosigkeit erfolgreich zu […]
[…] man beim Geisteswissenschaftler und LVQ-Absolventen Tobias Quiram. Tobias erlebte während seines Berufseinstiegs die gängigen Vorurteilen über Geisteswissenschaftler. Sein Studium hinterfragte er jedoch nie. […]