Jobsuche und Bewerbung für Generalisten: Warum ihnen die Zukunft auf dem Arbeitsmarkt gehört – Experteninterview mit Karriere-Coach Dr. Bernd Slaghuis Part II

20.10.2022, Angela Borin

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Generalisten sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt wie nie, begegnen bei der Jobsuche aber dennoch Herausforderungen. Mit welchen sie im Gegensatz zu Spezialisten zu kämpfen haben, was Generalisten grundsätzlich ausmacht und wie sie sich am besten verkaufen, haben wir im ersten Teil unseres Interviews mit Dr. Bernd Slaghuis erfahren. Im zweiten Teil unseres Gesprächs liegt der Fokus vermehrt auf der Bewerbung, der Arbeitswelt von morgen und darauf, warum Generalisten künftig noch gefragter sind.

Bewerbung als Generalist: Wie kann das funktionieren?

Zuletzt haben wir ein ganz wichtiges Learning für alle Generalisten und besonders die Berufseinsteiger mitgenommen: Die Vielseitigkeit ist das Profil des Generalisten. Doch wie können Generalisten dieses nun in ihrer Bewerbung anbringen?

Dr. Bernd Slaghuis: Der Lebenslauf ist das eine. Und hier sehe ich, dass dieser bei vielen Generalisten ein zu knappes Bild vermittelt. Daher habe ich eine neue Formel definiert: Die erste Ziffer des Alters ergibt die Anzahl an Seiten des eigenen Lebenslaufes. Das heißt, dass der Mitte Fünfzigjährige durchaus fünf Seiten Lebenslauf für sich nutzen darf – vorausgesetzt diese sind gut strukturiert und lesbar und ergeben ein rundes Bild. Berufserfahrene Generalisten dürfen und sollten sich hier also trauen und ihren gesamten bunten Blumenstrauß präsentieren.

Auf der anderen Seite bin ich Fan von einem guten Anschreiben, das Klarheit schafft. In der Regel reicht dabei eine Seite, die natürlich nicht „vollgequetscht“ sein sollte. Ein Absatz könnte dann davon erzählen, was dem Generalisten in seinem künftigen Job wichtig ist. Den meisten Generalisten bedeuten zum Beispiel Freiheiten und Gestaltungsspielräume viel. Sie möchten Entscheidungen treffen können, miteinbezogen und gefragt werden, viel Abwechslung im Job erleben, Neues lernen und flexibel arbeiten, denn Generalisten mögen kein starres Korsett. Üblicherweise begegnen mir Abwechslungs-Routine-Verhältnisse von 70 zu 30 und dies darf ruhig eins zu eins in einem Anschreiben kommuniziert werden. Ein Anschreiben bietet also die Chance, zu erläutern, was für den Generalisten im Beruf entscheidend ist: Was fällt mir leicht, was macht mir Freude, was gibt mir Energie? Persönlichkeit, Stärken, Werte – das alles erfahre ich nicht aus einem Lebenslauf.

Weg von den Standards hin zur eigenen Motivation

Typische Formulierungen wie „ich bin kommunikationsstark und belastbar“ sollten aber durch klare Aussagen ersetzt werden: „Es macht mir Freude, mich mit spannenden Themen wie X zu beschäftigen, Neues zu gestalten, kreative Ideen ins Team einzubringen und im Team moderierend und vermittelnd zu agieren“. Beispiele müssen nicht immer alle belegt sein. Generalisten sollten im Anschreiben nicht in eine Rechtfertigungshaltung gehen, sondern Aussagen über ihre Motivation und ihre Persönlichkeit treffen. Dazu gehören Formulierungen wie „fällt mir leicht, motiviert mich, liegt mir, macht mir Freude …“. So kann ein Arbeitgeber sich ein besseres Bild von dem Menschen machen, den er einlädt, um zu sehen, was hinter diesem bunten Bild des Lebenslaufes steckt.

Beobachter, Empath, Denker – auch introvertierte Generalisten vereinen Stärken

Wir haben viel über kommunikationsstarke Generalisten gesprochen. Doch wie können denn introvertierte Generalisten punkten?

Dr. Bernd Slaghuis: Spannende Frage. Auch hinter einer Introversion stecken Stärken – es sind lediglich andere als bei Extrovertierten. Wie viele Stärken ein Generalist mitbringt, hat also weniger mit der Introversion zu tun. Für introvertierte Menschen ist es somit genauso wichtig, sich der eigenen Stärken bewusst zu werden, die in so einer Introversion stecken. Ich würde vermuten, dass viele Introvertierte eher hervorragende Beobachter sind, gut Zusammenhänge erkennen können und empathischer sind. Aus ihrer Beobachtung heraus können sie die Politik, Situation und Stimmung im Team und Unternehmen besser wahrnehmen. Daraus ergibt sich, dass sie Sachverhalte in Meetings deutlicher zusammenfassen und auf den Punkt bringen können. Das stelle ich auch häufig in Coachings fest, wenn Klienten mir sagen: „Ich bin mehr jemand für die zweite Reihe. Ich muss nicht die Projektleitung sein. Ich funktioniere gut im Team. Da bin ich stark.

In Zukunft verstärkt gesucht: „Der bunte Blumenstrauß hat auch einen Wert.“

Ob introvertierter oder extrovertierter Generalist: Eine der letzten Fragen im Vorstellungsgespräch ist oftmals die nach dem Gehalt. Wie können Generalisten am besten mit dieser umgehen?

Dr. Bernd Slaghuis: Da stecken für mich verschiedene Aspekte drin. Wir haben über die große Spielwiese gesprochen. Wenn diese zu meinem Erfahrungswissen – gerade bei den Berufserfahrenen – und zu der Vielseitigkeit meiner Stärken passt, dann sollte das Gehalt dies widerspiegeln. Bewerben hat auch ganz viel mit Selbstschutz zu tun: Wenn ein Generalist, der weiß, was er kann, beispielsweise 70.000 Euro als Gehaltsvorstellung angibt, die Stelle aber nur mit 40.000 Euro budgetiert ist, dann ist es offensichtlich, dass es zu keiner Zusammenarbeit kommen kann. Der bunte Blumenstrauß hat schließlich auch einen Wert, und wenn dieser Wert von einem Arbeitgeber nicht erkannt wird, dann wird die Stelle auf Dauer auch nicht passen.

Generalisten sollten den Wert ihrer Fähigkeiten also nicht durch zu starkes herunterhandeln schmälern lassen und lieber weitersuchen. Doch wird der bunte Blumenstrauß aus Deiner Erfahrung äquivalent zu spezialisierten Tätigkeiten gesucht?

Dr. Bernd Slaghuis: Ich gehe sogar noch weiter und sage, Generalisten werden noch mehr oder in Zukunft noch stärker gesucht. Gerade Berufserfahrene sind noch zu sehr fokussiert auf Spezial- und Fachwissen und sehen oft ihr breites Erfahrungswissen nicht. Es kommt aber immer mehr darauf an, in verschiedenen Teamsituationen zu arbeiten, weil das Projektgeschäft stetig stärker und agiler wird. In verschiedenen Teamkonstellationen müssen somit immer öfter temporär Themen bearbeitet werden. Kompetenzen wie Flexibilität, sich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen und sich neue Fähigkeiten aneignen zu können werden bedeutender. Und das können Generalisten einfach besser und leichter als der Stärken-Spezialist. Deswegen bin ich der Meinung, dass unsere Arbeitswelt der Zukunft immer noch viele Spezialisten benötigt, aber auch Generalisten eine gute Zukunft haben.

Veränderungsbedarfe spielen Generalisten in die Karten

Klingt ganz so, als würden somit auch Krisen die Jobmöglichkeiten für Generalisten begünstigen. Wie schätzt Du die Entwicklung in solchen Krisenzeiten für Generalisten ein?

Dr. Bernd Slaghuis: Krisen haben natürlich immer etwas mit Veränderung und Veränderungsbedarf in Organisationen zu tun. Unternehmen müssen sich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen und beispielsweise von heute auf morgen auf Homeoffice umstellen. Auch so eine Veränderung wird einem Generalisten leichter fallen als einem Spezialisten. Der Spezialist denkt im ersten Moment vermutlich: „Panik. Die Welt bricht gerade um mich herum zusammen. Ich muss den Ist-Zustand jetzt noch schnell retten.“ Der Generalist hingegen sagt sich – überspitzt gesehen: „Endlich Abwechslung und etwas Neues“.

Daraus erwächst für mich gerade eine super spannende Frage, die kurz die Seiten wechselt: Auch für Spezialisten wird es dann mit Blick auf Krisen und die Zukunft der Arbeit immer wichtiger, generalistischer aufgestellt zu sein. Wie siehst Du das?

Dr. Bernd Slaghuis: Spannend! Darüber habe ich noch nie nachgedacht, was das für die Spezialisten-Seite heißt. Im Umkehrschluss heißt es aber theoretisch genau das, richtig. Konsequenterweise würde ich einem Spezialisten aber sagen, was ich sonst dem Generalisten sage: „Du musst Dich nicht verändern. Du bist eben Spezialist, der auch seine Stärken mitbringt. Also erstmal keine Panik.

Ob Generalist oder Spezialist: Ich schaue lieber mehr darauf, wie jemand (re)agiert, wie er ist und an welcher Stelle das einen Wert hat. Sich krampfhaft verbiegen zu müssen, um in ein bestimmtes Unternehmen oder eine bestimmte Branche zu passen, das würde ich keinem empfehlen. Mein Tipp: Mehr Wertschätzung für sich selbst und die eigenen Stärken generieren und schauen, in welcher Umgebung dies dann auch von außen Wertschätzung erfährt. Die Komfortzone etwas zu erweitern, dagegen spricht allerdings nichts.

Weiterbildung für Generalisten: Lernen, worauf sie Lust haben

Aus meiner Sicht eine gute Herangehensweise für Spezialisten und Generalisten – gerade auch im Hinblick auf die Ausweitung der eigenen Komfortzone. Glaubst Du, dass eine Weiterbildung dabei unterstützen kann?

Dr. Bernd Slaghuis: Viele Generalisten glauben, dass sie ganz viele Weiterbildungen machen müssen, weil ihr Fachwissen nicht reicht. Dieser Glaubenssatz – „Ich kann ja nicht genug“ – mündet in „Ich muss mir Wissen aneignen und Zertifikate sammeln“. Aus meiner Sicht ist das nicht der richtige Ansatz, denn hier steckt zu viel Druck dahinter. „Ich muss die Zertifikate sammeln, und erst dann habe ich eine Chance auf dem Arbeitsmarkt“. Ich sage ganz vielen Generalisten:

Wenn Du etwas für den Kopf tun und etwas Neues lernen möchtest, dann mach, worauf du Lust hast. Überlege nicht zuerst, welche Zertifikate du benötigst, um irgendeinen Job zu bekommen, sondern schaue auf das, was dich interessiert, was du machen möchtest und dann finde das, was dich im besten Fall auch weiterbringt.

Gerade bei den berufserfahrenen Generalisten ist es in den seltensten Fällen das Fachwissen, das etwa zum Zeitpunkt eines Jobwechsels fehlt. Meistens hängt es an den großen Spielwiesen. Während der Spezialist genau die Vertiefung und ein bestimmtes Zertifikat benötigt, dreht es sich beim Generalisten mehr um das Erfahrungswissen und die Verknüpfung der Tätigkeiten. Viele meiner Klienten wünschen sich aber, wieder Neues zu erlernen und das mit in den bunten Blumenstrauß einzubringen. Da macht eine Weiterbildung natürlich Sinn.

Heißt im Umkehrschluss, dass grundlegende Weiterbildungen aus Bereichen, wo bisher kaum Berührungspunkte vorhanden waren, sinnvoller sind als vertiefende fachliche Erweiterungen …

Dr. Bernd Slaghuis: … und dass es besser ist, nach Weiterbildungen zu suchen, die sich auf der eigenen großen Spielwiese gut nutzen lassen, die entsprechend breit gefächert sind und die gut zum eigenen bunten Blumenstrauß passen – Projektmanagement zum Beispiel.

Kontakte knüpfen: Erfahrungswissen ist mehr als nur Berufserfahrung

Entscheidend ist aber auch zu schauen, welche Form der Weiterbildung anspricht, welche spannenden Menschen an der gewählten Weiterbildung teilnehmen und mit wem gute Kontakte geknüpft werden können. Also auch hier nicht zu sehr auf das Zertifikat am Ende „schielen“, sondern gucken, was an Themen, Formaten und Menschen interessant sein kann.

Weg vom Fachlichen hin zum Menschlichen: Netzwerken und Klarheit schaffen also. Hast Du abschließend noch einen Tipp für Generalisten?

Dr. Bernd Slaghuis: Viele berufserfahrene Generalisten schätzen ihr Erfahrungswissen nicht mehr. Stattdessen sehen sie die Vielfalt und denken, dass sie eigentlich gar nichts richtig können und genau das resultiert in „Was ist denn das alles schon wert?“. Das ist aus meiner Sicht fatal, da Erfahrungswissen mehr als nur Berufserfahrung ist. Ich arbeite mit den Berufserfahrenen im Coaching dann diese Fülle nochmal heraus:

Überlegt genau, was euren bunten Blumenstrauß wirklich ausmacht: In welchen verschiedenen Branchen habt ihr gearbeitet? Mit wem habt ihr zu welchen Themen und in welcher Rolle am Tisch gesessen? Vor welchen Gremien habt ihr präsentiert? Was waren die Schnittstellen in den verschiedenen Jobs? Geht nochmal alle Stationen durch und überlegt, was die einzelnen Zeiten ausgemacht, was sie abgesehen von den Aufgaben wertvoll gemacht hat.

Im Folgetermin sehe ich dann oft, dass es sehr hilfreich für meine Klienten war, die Zeit nochmal reflektiert und den Wert ihres „Blumenstraußes“ für sich erkannt zu haben. Mit Berufseinsteigern habe ich weniger zu tun, dennoch ist es auch hier entscheidend, nochmal genau die eigenen Werte zu betrachten und zu schauen, worauf es ihnen die nächsten Jahre im Beruf ankommt. Die meisten wissen das schon sehr genau und sind oft bereits breit aufgestellt – auch wenn sie die Erfahrung noch nicht haben , empfinden das Generalistentum aber möglicherweise noch als Schwäche. Daher sollten sie für sich einfach noch deutlicher Klarheit schaffen, dass das Generalisten-Dasein eine Stärke ist, die richtig verkauft und für die die persönliche Spielwiese gefunden werden muss.

Generalisten unter sich: Was für ein tolles Interview! Ich danke dir vielmals für den spannenden Austausch, Bernd.

Dr. Bernd Slaghuis: Danke, Angela, auch für mich war es sehr interessant, mit dir über diese Thematik zu sprechen – und ich freue mich sehr über die Veröffentlichung im LVQ-Blog.


 

 

 

 

 


 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.

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