Gehaltsverhandlung im Vorstellungsgespräch richtig vorbereiten und angehen – Interview mit Gehaltsexpertin Karin Schwaer

24.11.2022, Angela Borin

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Unter dem Motto „Gut gelaunt und bestens vorbereitet“ berät Karin Schwaer Bewerber rund um das Thema Gehaltsverhandlungen. Mit mehr als 30 Jahren Erfahrung hat sie bereits auf beiden Seiten des Verhandlungstisches gesessen und bereitet ihre Kunden daher in Eins-zu-Eins-Gesprächen auf eines der lukrativsten Gespräche im beruflichen Kontext vor. Auf ihrer Webseite Gehaltssprung für „Sie“ schreibt sie in ihrem Blog regelmäßig über die verschiedenen Aspekte und gibt wertvolle Tipps. Heute haben wir sie im Interview für unseren LVQ-Blog getroffen.

Gehaltsverhandlung: 80% des Erfolges liegen in der Vorbereitung

Guten Morgen Frau Schwaer. Schön, dass wir uns heute persönlich kennenlernen. Ich folge Ihrem Blog schon lange und freue mich heute, das Thema Gehaltsverhandlung mit Ihnen zu beleuchten. Ein essenzielles Thema, dass besonders denjenigen zu schaffen macht, die erstmalig oder nach langer Zeit wieder auf Jobsuche sind, oder?

Karin Schwaer: Definitiv, denn das Thema Selbstvermarktung und Gehaltsverhandlung wird uns weder in Ausbildung oder Studium noch im Beruf beigebracht. Schnell entsteht der Eindruck, dass alle wissen, wie es geht, nur wir selbst sind die Unsicheren. Dabei ist Verhandeln ein Handwerk, was wir erlernen können. 80 % des Gesprächserfolgs liegen bei der Gehaltsverhandlung in der Vorbereitung. Das ist vielen Menschen nicht bewusst, obwohl es sich um die wichtigsten und lukrativsten Gespräche im beruflichen Kontext handelt. Eine simple Rechnung zeigt, wie erbarmungslos der Zinseszinseffekt im Laufe einer Erwerbsbiografie zuschlägt. Nach 30 Jahren führt das, je nach Einstiegsgehalt, zu siebenstelligen Differenzen. Deswegen müssen sich Erwerbstätige aktiv um ihre Gehaltsentwicklung kümmern – besonders Frauen.

Bildquelle: Gehaltssprung

Geschlechtsspezifische Differenzen und Selbstvermarktung, die wir erst lernen müssen. Spannender Einstieg. Doch fangen wir vorne an: Wie ermitteln wir denn das passende Gehalt?

Karin Schwaer: Das ist das berühmte Stichwort „Marktwertermittlung“. Im Internetzeitalter habe ich viele Möglichkeiten zu recherchieren: Große Stellenjobbörsen wie Monster, Indeed oder Stepstone liefern bei ausgeschriebenen Stellen häufig eine erste Gehaltsrange. Über Gehalt.de können individuelle Gehaltschecks angefordert werden und auf Kununu und Glassdoor können wir uns darüber informieren, was andere Mitarbeitende des anvisierten Unternehmens an Informationen ausgeben. Zuletzt müssen Bewerber weitere Kriterien hinzuziehen, die in Relation zum Gehalt stehen wie die Region und die eigene Qualifikation. Wie eine Stelle tatsächlich budgetiert ist, das finden Bewerber im Zweifel nur durch Fragen heraus: „60.000 Euro sind eine marktübliche Vergütung, das haben meine Recherchen ergeben, aber lassen Sie uns doch einfach offen darüber sprechen, wie Sie die Stelle budgetiert haben.

Runter geht es schnell, rauf wird es schwierig

In der Gehaltsverhandlung sollten Bewerber mit ihren höchsten Rechercheergebnissen argumentieren. Haben wir beispielsweise eine Vergütung von 30.000 bis 60.000 Euro recherchiert und fühlen uns mit 58.000 Euro wohl, dann gehen wir mit dieser konkreten Summe und keiner Gehaltsspanne in die Gehaltsverhandlung. Runter geht es schließlich schnell, rauf wird es schwierig. Die Gehaltsforderung muss dann mit objektiven Kriterien begründet werden: „Meinen Recherchen auf großen Stellenjobbörsen nach werden Positionen in meinem Feld und mit dieser Qualifikation mit XX.XXX Euro vergütet.“ Nur so können Bewerber zeigen, dass sie ihre Gehaltsvorstellung nicht aus der Luft gegriffen haben, sollten sich aber auch verhandlungsbereit zeigen. Das ist Teil des Spiels und für beide Seiten gilt: Das erste Angebot wird nicht angenommen. Ein Thema, dass Frauen deutlich schwerer fällt als Männern. Während Männer – stereotyp betrachtet – nach dem Motto handeln, „Jetzt sind wir im Gespräch“, gehen Frauen nicht in die Gehaltsverhandlung, sondern akzeptieren oft das erste Angebot: „Bin ich froh, dass ich dieses Gespräch hinter mir habe, mehr ist dann wohl nicht drin.“ Doch das Unternehmen bewirbt sich auch beim Bewerber, sich das bewusst zu machen, kann Augenhöhe verschaffen– insbesondere da wir uns mittlerweile auf einem Arbeitnehmermarkt befinden.

Nicht das Gegenangebot akzeptieren, sondern tatsächlich verhandeln. Doch wer spricht das Thema eigentlich an? Wer macht das erste Angebot? Und wieviel Verhandlungsspielraum benötigen Bewerber?

„Das erste Angebot setzt den Anker für die gesamte Gehaltsverhandlung.“

Karin Schwaer: Heutzutage können Bewerbungen über Stellenportale oftmals nicht abgeschickt werden, wenn die Gehaltsvorstellungen nicht ausgefüllt sind. Da sollten Bewerber also nicht zu tief, sondern realistisch drangehen, weil dieses erste Angebot den Anker für die gesamte Gehaltsverhandlung setzt. Tragen wir hier zum Beispiel die 58.000 Euro ein, können wir im Gespräch nicht mehr sagen: „Ich wollte Sie erst mal persönlich kennenlernen. Eigentlich wollte ich das Doppelte.“ Das wäre vertrauensschädlich. Bewerber können im Gespräch aber gegebenenfalls anbringen, dass die 58.000 Euro die Grundvergütung darstellen und nach dem unternehmensspezifischen Gehaltsgefüge fragen, also nach variablen Bestandteilen, die on top kämen: „Wie vergüten sie üblicherweise Ihre Mitarbeiter? Gibt es Zusatzleistungen?“ Natürlich ist es aber gut, den Anker möglichst hoch zu setzen. Haben wir also 60.000 € recherchiert, können wir 65.000 € angeben. Dann haben Bewerber locker 10%, die sie als Verhandlungsspielraum runtergehen können.

Bei schwammigen Stellenausschreibungen, die im Gespräch plötzlich mehr Verantwortungsbereiche bekommen, müssen Bewerber hingegen hellwach bleiben und dies kommentieren. Nur so kann an späterer Stelle der angemessene Gehaltswert verhandelt werden.

Vorbereitung ist das A und O für die Gehaltsverhandlung

Bevor das Vorstellungsgespräch ansteht: Was gehört aus Ihrer Sicht denn noch zur Vorbereitung?

Karin Schwaer: Jedes Gespräch ist anders und muss daher separat vorbereitet werden. Dazu gehören Faktoren wie:

  • Was ist meine Story? Richte ich mich neu aus? Wie ‚verkaufe‘ ich das?
  • Mit wem habe ich eigentlich zu tun?“,
  • Was sind meine Interessen und wie sehen die der anderen Seite aus?“,
  • Welches Problem der anderen Seite helfe ich dann zu lösen?“,
  • Wie viele Mitbewerber habe ich und wie sehr ist das Unternehmen angewiesen, diese Stelle schnellstmöglich zu besetzen?

Letztens hatte ich eine Kundin, die für den Verantwortungsbereich „Nachhaltigkeit im Lebensmittelhandel“ ein Gespräch bei einem Unternehmen hatte, von dem sie wusste, dass die Stelle dort seit zwölf Monaten unbesetzt ist. Da ab Januar 2023 das Lieferkettengesetz in Kraft tritt, welches Unternehmen verpflichtet zu handeln, ergab sich dadurch eine total andere Verhandlungsposition und Verhandlungsmacht. Und genau sowas sollten Bewerber vorab in Erfahrung bringen, um sich dies in der Gehaltsverhandlung zu Nutze zu machen – bevor unterschrieben wird.

Frauen müssen sich besser vorbereiten

Ihr Fokus liegt auf „Gehaltssprüngen“ für Frauen. Müssen die sich eigentlich anders vorbereiten?

Karin Schwaer: Frauen sind gezwungen, sich noch besser vorzubereiten als Männer und ihre Forderungen anders zu legitimieren. Die Frage nach mehr Geld wird vielmehr hinterfragt – das haben viele Studien zwischenzeitlich eindeutig aufgezeigt. Daher empfehle ich jungen Frauen, Anker zu setzen und finanzielle Unabhängigkeit als angestrebtes Ziel im Gespräch und der Gehaltsverhandlung zu signalisieren. Mit einem Augenzwinkern zu verstehen, könnte das Motto zwischen den Zeilen lauten: „Solange ihr mich so bezahlt, dass ich jemanden bezahlen kann, komme ich auch.“ Damit lösen Bewerberinnen häufig völlig unbewusste Vorurteile bei der anderen Seite auf.

Gut vorbereitet Vorurteile auflösen, heißt es also für Frauen. Aber wie gehen Bewerber denn damit um, wenn der Arbeitgeber beharrlich bei seinem Angebot bleibt – möglicherweise weil nur ein bestimmtes Budget für die Stelle zur Verfügung steht?

Mehr Verhandlungsmacht im Vorstellungsgespräch

Karin Schwaer: Beispielsweise könnte im Rahmen der Gehaltsverhandlung eine separate Vereinbarung für die Probezeit getroffen werden, wobei die Einigung auf eine Anpassung nach der Probezeit im Arbeitsvertrag festgeschrieben werden sollte. Andernfalls müssen die nun Mitarbeitenden aktiv dranbleiben und sich unerbittlich freundlich auf die Absprache berufen, sich nach der Probezeit noch einmal zusammenzusetzen. Die Vorbereitung verschiebt sich dann auf die Punkte „tatsächlicher Nutzen“ sowie Wirkung und Leistung für das Unternehmen, „Was habe ich konkret in der Probezeit einbringen können?“, aber auch auf die Frage, „Was könnte diese andere Seite mir entgegnen und wie gehe ich damit um?“ Eine Nachverhandlung ist letztlich immer mit noch mehr Überzeugungsnotwendigkeit verbunden als die Erstverhandlung im Vorstellungsgespräch.

Wie gestaltet sich eine solche Nachverhandlung dann für Frauen? Wäre es sinnvoll, Ergebnisse zu visualisieren und eine Kurzpräsentation vorzulegen?

Karin Schwaer: Das ist eine gute Idee, das im Vorfeld zu verschriftlichen. Das hat für die erneute Gehaltsverhandlung vielerlei Vorteile. Erstens sie vergessen nichts. Zweitens sind sie sich immer bewusst, dass es keine unangemessenen Forderungen sind. Und drittens: Möglicherweise findet das Gespräch mit jemandem statt, der gar nicht entscheidungsbefugt ist und das an höherer Stelle absegnen lassen muss. Durch die Unterlagen stellen Frauen sicher, dass die richtigen Informationen weitergegeben werden.

Gut gelaunt und bestens vorbereitet in die Gehaltsverhandlung

Unerbittlich freundlich in ein Gespräch gehen: Interessanter Tipp. Entstand so auch das Motto „Gut gelaunt und bestens vorbereitet in die Gehaltsverhandlung“?

Karin Schwaer: Sich in einer Gehaltsverhandlung einfach nur anzuhören, was das Unternehmen einem anbietet, ist kontraproduktiv, teuer und gegebenenfalls karriereschädlich, weil beim Verhandlungspartner schlimmstenfalls das Gefühl aufkommt, dass es denjenigen gar nicht sonderlich interessiert. „Bestens vorbereitet“ ist daher unerlässlich und das bestenfalls gut gelaunt und wertschätzend. Dann hat die Gegenseite auch ein Interesse an einem konstruktiven Gespräch und nimmt dieses als Chance wahr. Menschen wollen mit wertschätzenden Menschen verhandeln. Daher mein Tipp: „Schreiben Sie sich als Bewerber ganz Groß mit auf den Zettel, unerbittlich freundlich zu bleiben.

Druck und Stress prägen seitens der Bewerber ja eher häufig solche Gespräche. Was würden Sie hier empfehlen?

Karin Schwaer: Berufliche Alternativen und ein Plan B helfen. Je mehr Alternativen ein Bewerber im Kopf hat und sich in seiner individuellen Vorbereitung bewusst macht, desto weniger abhängig ist er von diesem einen Gespräch und desto mehr findet das Gespräch auf Augenhöhe statt. Dreh und Angelpunkt ist daher herauszufinden: „Was tue ich, wenn das überhaupt nicht meinen Vorstellungen entspricht?“ Dadurch haben Bewerber eine andere Verhandlungsmacht und -sicherheit – auch im Rahmen der Gehaltsverhandlung.

Eine gute Vorbereitung und Alternativen sind also der Schlüssel zum Erfolg. Vielen lieben Dank für das inspirierende Gespräch, Ihre Zeit und die tollen Antworten, Frau Schwaer.

Karin Schwaer: Ich danke für das angenehme Gespräch und Ihre Initiative, Frau Borin!


 

 

 

Disclaimer: Zugunsten der besseren Lesbarkeit wurde die zeitgleiche Verwendung der männlichen, weiblichen und diversen Form während des Interviews nachträglich in der Verschriftlichung auf die männliche Sprachform reduziert. Diese Form schließt an dieser Stelle alle Geschlechter mit ein.


 

 

 

 


 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Angela Borin, Lars Hahn und Martin Salwiczek.

Die LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Präsenzunterricht mit Dozenten aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.

Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

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