Böse Falle ‚Fachkräftemangel‘: 5 Impulse für die Bewerbung

11.05.2023, Lars Hahn

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Die Folgen des Fachkräftemangels in Deutschland sind vielfältig und drohen, zu erheblichen Einschränkungen zu führen. Unternehmen, die keine geeigneten Fachkräfte finden, können nicht wachsen und sich nicht weiterentwickeln. Den Arbeitskräftemangel spürt man an nicht nur in IT, Pflege und Handwerk, sondern – spätestens nach der Pandemie – auch in Gastronomie, Einzelhandel und Bildung. Man merkt: Spätestens in den vergangenen Jahren hat sich der Arbeitsmarkt bei allen Turbulenzen zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt.
Gleichzeitig gibt es nach wie vor viele qualifizierte Bewerber*innen, die sich schwertun bei der Jobsuche: „Wenn es Fachkräftemangel gibt, wieso finde ich dann keinen Job? Wie kann das sein?“ Weshalb der Fachkräftemangel nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Bewerber*innen eine ‚böse Falle‘ sein kann und welche Impulse Jobsuchenden jetzt helfen können, davon handelt dieser Blogbeitrag.

Ja, haben wir denn wirklich Fachkräftemangel?

Man spricht aktuell mehr denn je vom Fachkräfte- oder gar Arbeitskräftemangel, weil es längst nicht mehr nur um Fachkräfte geht: In einschlägigen Recruiting-Kreisen verwendet man gar den Begriff ‚Arbeiterlosigkeit‘. Wenn ich mit Unternehmensvertreter*innen spreche – auf Tagungen, Kongressen oder in Verbänden – steht das Thema Personalgewinnung gerade ganz oben auf der Prio-Liste, meistens noch vor den Lieferketten-Energie-Klimaschutz-Themen. Mittlerweile ist unübersehbar, dass viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Stellen zu besetzen. Unstrittig ist auch, dass die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte in den kommenden Jahren stark zurückgehen wird – die Babyboomer gehen in Rente. Der demografische Wandel ist auf dem Arbeitsmarkt längst angekommen. In diesem Beitrag sollte es eigentlich nicht so sehr um Zahlen gehen – es kursieren so verwirrend unterschiedliche –, hier dennoch ein kurzer Deep Dive

  • 1,98 Millionen Stellen sind laut IAB-Stellenerhebung zurzeit in Deutschland zu besetzen
  • Die Fachkräftelücke – also die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisch bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen gibt – betrug 2022 in Deutschland mehr als 630.000, sagt das KOFA-Institut 
  • 53 Prozent der Betriebe können aktuell nicht alle offenen Stellen besetzen, weil sie kein geeignetes Personal finden, weiß die DIHK

In Bezug auf eine weitere, in diesem Zusammenhang immer wieder genannte Zahl möchte ich unbedingt Klarheit schaffen, weil sie so apokalyptisch beeindruckend klingt und regelmäßig für Verwirrung sorgt: 7 Millionen. Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial nämlich bis 2035 aus rein demografischen Gründen um mehr als 7 Millionen Menschen zurück – allerdings vorausgesetzt: Man tut nichts. Die einprägsame Zahl 7 Millionen wird in vielen Medien gern zitiert, ohne sie in einen Gesamtkontext einzuordnen. Was hängen bleibt: „O Gott, im Jahr 2035 sind wir 7 Millionen weniger Menschen am Arbeitsmarkt.“ Das ist falsch. Denn natürlich wird an vielen Stellen – durchaus erfolgreich – daran gearbeitet, die Erwerbsbeteiligung zu steigern: Qualifizierung und Weiterbildung, Aktivierung von Arbeitssuchenden und der stillen Reserve, höhere Beschäftigungsquote bei Älteren, mehr Vollzeittätigkeiten, Fachkräftezuwanderung etc. Daher geht selbst der IAB-Forscher Enzo Weber davon aus, „dass das Arbeitskräfteangebot bis 2040 […] um rund 1,1 Millionen sinken dürfte.“ Also ‚nur‘ 1,1 Millionen. Nix mit 7 Millionen-Apokalypse.
Was überdies gern im Zuge der Fachkräfteengpass-Debatte unterschlagen wird: Innovation, die Verbesserung von Abläufen und Prozessen sowie Digitalisierung – nicht zuletzt durch ChatGPT und Co. – wird Unternehmen in puncto Personalbedarf entlasten.

Fachkräftemangel: Rosige Zeiten für Bewerber*innen?

Dennoch gilt: Der akute Fachkräftemangel setzt viele Betriebe unter Druck und ist somit für sie eine ‚böse Falle‘. Arbeitgeber*innen lassen sich immer mehr einfallen, um die Gunst der Jobsuchenden zu gewinnen. Ausgefeilte Recruiting-Strategien, zeitgemäße Bewerbungskanäle über WhatsApp oder Instagram und umfassendes Employer Branding. Dabei bleibt es längst nicht beim berühmt-berüchtigten NewWork-Kicker oder dem Obstkorb für die Belegschaft. Candidate Experience, Augenhöhe und Wertschätzung sind nicht erst seit Kurzem Stichworte in diesem Kontext.
Brechen nun also endgültig die rosigen Zeiten für Arbeitnehmer*innen an? Können Bewerber*innen den Spieß nun umdrehen und den Unternehmen eine lange Nase zeigen, nach dem Motto Ätsch, nun sitzen wir am längeren Hebel!? Ist die Jobsuche ab sofort ein lässiger Spaziergang? Können Jobsuchende nun sämtliche Bewerbungsregeln bezogen auf Anschreiben, Lebenslauf, Stellenrecherche, Vorstellungsgespräch, Gehaltswünsche und Co. über Bord werfen? Könnte man meinen.

Jobsuche bleibt tricky in Zeiten des Fachkräftemangels: 5 Impulse

Selbst wenn sich in vielen Bereichen des Arbeitsmarktes die Chancen grundsätzlich zugunsten der Bewerber*innen verschoben haben: Die Jobsuche bleibt ein anspruchsvolles Unterfangen. Das hat unterschiedliche Gründe, zu denen ich fünf Impulse geben möchte:

Impuls 1: Arbeitslosigkeit fühlt sich nicht an wie Fachkräftemangel – und das ist okay!

Wer den Arbeitgeber wechseln möchte, tut dies oft in einer Situation, die sich nicht gut anfühlt: Man möchte weg von etwas. Noch herausfordernder ist für die meisten Jobsuchenden die Situation ‚zwischen zwei Jobs‘: Du weißt in der Regel nicht, wann das Ziel des neuen Jobs erreicht sein wird. Das ‚Fehlen‘ einer Arbeitsstelle, verbunden mit materiellen Sorgen, zerrt an den Nerven, und Absagen auf Bewerbungen steigern nicht unbedingt das Selbstvertrauen. Auch heute noch empfinden viele Arbeitslosigkeit als Makel. Aber hey, ist doch Fachkräftemangel! Von wegen: Die Phase der Jobsuche ist meistens nicht geprägt von Leichtigkeit und Euphorie. Das Wichtige: Es ist in völlig Ordnung, sich unsicher und unter Druck zu fühlen, denn so geht Jobsuche! Aber: Auch wenn das kein gewünschter Zustand ist, kann er ein wichtiger Antrieb für die Jobsuche sein.

Impuls 2: Jobsuche ist komplex, auch in Zeiten des Fachkräftemangels

Manche Bewerber*innen starten in die Jobsuche, in der Hoffnung, man brauche zu Zeiten des Fachkräftemangels nur ein, zwei Bewerbungen zu schreiben und hui – der neue Job ist erreicht. In Ausnahmefällen mag dies auch zutreffen. Für gewöhnlich läuft die Jobsuche so aber nicht ab. Berufseinsteiger*innen, Menschen, die einen Quereinstieg versuchen, und Lebenserfahrene gleichermaßen landen in Zeiten des Fachkräftemangels nur mit Anstrengung und Strategie den neuen Job – wenn es denn auch ein nachhaltig passender sein soll. Trotz der geänderten Situation auf dem Arbeitsmarkt sind eine ausgereifte Recherchestrategie (auch im verdeckten Stellenmarkt), optimierte Bewerbungsunterlagen, Vernetzungsaktivitäten und eine gute Gesprächsvorbereitung längst nicht obsolet.

Impuls 3: Böse Falle ‚Fachkräftemangel‘ – Achtung vor dem falschen Job!

In letzter Zeit begegnen uns häufiger Bewerber*innen, die in der Probezeit ihren letzten Job gekündigt haben oder denen gekündigt wurde. Das Phänomen dahinter ist, dass man sich zu schnell auf einen gemeinsamen Weg einigt, ohne eingehend zu prüfen, ob man wirklich zueinander passt. Meist stellt sich das dann in den ersten Monaten heraus. Alternativ auch erst nach ein, zwei Jahren. Bisweilen werden Bewerber*innen auch mit den üblichen ‚newworkigen‘ Versprechen oder üppigen Rahmenbedingungen gelockt. Statt vor Unterschrift einen Kulturcheck bei kununu, Linkedin oder XING durchzuführen oder einen Probearbeitstag einzulegen, müssen sie dann nach ein paar Monaten feststellen, dass dieser Arbeitgeber nun wirklich nicht zu ihnen passt.

Impuls 4: Augenhöhe in Zeiten des Fachkräftemangels? Immer beiderseits!

Der Fachkräftemangel hat wirklich eine Veränderung bei vielen Arbeitgebern herbeigeführt: Immer mehr Unternehmen bemühen sich, Bewerber*innen auf Augenhöhe zu begegnen, die sogenannte Candidate Journey zu verbessern, entspannte, wertschätzende Jobinterviews zu führen und ein herzliches Onboarding in den ersten Tagen und Wochen des neuen Jobs zu gewährleisten. Auch das lässt sich mittlerweile in den Bewerber-Erfahrungen bei kununu nachlesen. Es soll sogar Jobsuchende geben, die ihren vermeintlichen, durch den Fachkräftemangel bedingten Marktvorteil ausspielen, von wegen: „Jetzt zeigen wir den bösen Arbeitgebern endlich mal, wer hier das Sagen hat!“. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein kürzlich erschienener Post von Bernd Slaghuis. Der Tenor der Kommentare: Wer als Kandidat*in überzieht, hat dann auch keine Chance und muss sich nicht wundern, wenn die Jobsuche nicht funktioniert. Dass man einander auf Augenhöhe und wertschätzend begegnet – nun, davon bin ich eigentlich ausgegangen. Denn mal ehrlich: Wer möchte schon mit jemandem zusammenarbeiten, der sich als Bewerber*in arrogant oder wie der letzte Ar*** verhalten hat?

Impuls 5: Der Wettbewerb ist nicht vorbei; sei stets eine eine Nasenlänge voraus

Auch in Zeiten des Fachkräftemangels nicht passé: Mehrere, teils viele Bewerbungen auf eine Stelle. Der Wettbewerb unter Bewerber*innen ist nicht vorbei. Gerade Stellen bei namhaften und/oder beliebten Unternehmen sind gefragt. Auch bei bestimmten Bewerbergruppen wie der Generation 50 Plus, in ausgewählten Branchen wie dem Kulturbereich oder bei den begehrten Teilzeitstellen ist der Wettbewerb mit anderen Jobsuchenden immer noch oft eine Herausforderung. Und auf einmal ist ‚dieses besondere Etwas‘ vielleicht entscheidend: So gibt die erste Praxiserfahrung der Berufseinsteigerin vielleicht den Ausschlag. Oder dem Quereinsteiger dient die aktuelle Weiterbildung zum ‚Digital-Change-Manager‘ als Update für den Arbeitsmarkt, über das er an seinen neuen Job kommt.

Fazit: Engagierte Arbeitssuche hilft auch in Zeiten des Fachkräftemangels

Der Fachkräftemangel verschiebt die Koordinaten am Arbeitsmarkt. Viele Unternehmen müssen sich anstrengen, die passenden Kandidat*innen für die zu besetzenden Stellen zu finden. Die Phase der Jobsuche bleibt dennoch für viele Bewerber*innen eine Zeit der Herausforderungen. Es lohnt sich daher, die Arbeitssuche mit Engagement, kühlem Kopf und gutem Netzwerk anzugehen.


 

 

 

 


 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Lars Hahn, Martin Salwiczek und Kay Pfefferkuchen.

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Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

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1 Kommentare

Christian Brackelmanns
31. Mai 2023
Karriereberater & Coach

Lieber Herr Hahn,

der Beitrag fasst so treffend und prägnant zusammen, wie diese Arbeitswelt gerade funktioniert. Sehr schön!

Gerade das Bild vom Koordinatensystem finde ich sehr treffend - die Punkte verschieben sich und das ist gut so. Gut für Bewerber:innen und gut für Unternehmen, die das zum Anlass nehmen über ihre Unternehmenskultur nachzudenken und Verbesserungen umsetzen.

Aber die Punkte wandern nicht plötzlich in einen anderen Quadranten der Koordinatensystems. Was gestern für Erfolg bei der Jobsuche galt, ist auch morgen noch erfolgversprechend.

Und selbst wenn sich die Welt komplett gedreht hätte - Augenhöhe, wertschätzender Umgang miteinander und andere „Nettigkeiten“ wären langfristig allen Bewerber:innen und Unternehmen anzuraten. Denn man sieht sich immer zweimal im Leben und die Arbeitnehmerwelt könnte sich ja auch wieder andersherum drehen. You never know.


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