Karrierecoach Dr. Bernd Slaghuis: "Viele Menschen leben im Beruf nicht nach ihren Werten"

16.11.2017, Martin Salwiczek

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Dr. Bernd Slaghuis ist einer der gefragtesten Karriere- und Businesscoaches in Deutschland. Medien wie Die Süddeutsche, RP-Online oder N-TV befragen ihn, wenn es um Karrierethemen geht. Durch seinen Blog Perspektivwechsel, seine Kolumne in Die Welt und als XING Branchen Insider verfügt er über eine große Leserschar. Ein Interview im LVQ-Blog durfte da natürlich nicht fehlen.

 

Häufig werden wir von unseren Teilnehmern gefragt, ob wir auch Karriere-Coachings anbieten. Unser Fokus ist sehr praxisorientiert und auf die Weiterbildungsphase beschränkt. Daher wollten wir aus erster Hand erfahren, wie so ein Karrierecoaching angelegt ist und bei der Jobsuche unterstützen kann. Im heutigen ersten Teil des Interviews sprechen wir daher über berufliche Neuorientierung, die Arbeit eines Coaches und auch Bernds Weg zum Karrierecoach. In Teil 2 liegt der Fokus auf Bewerbungsthemen.

Berufliche Neuorientierung erfordert einen Perspektivwechsel

Bernd, Dein Blog heißt „Perspektivwechsel“. Was steckt hinter dem Titel?

 

Bernd Slaghuis: Perspektivwechsel sind die zentrale Grundlage für jedes Coaching. Wir alle sind viel im Automatik-Modus unterwegs und haben unsere manchmal sehr beschränkte Sicht auf die Dinge. Die Perspektive wechseln bedeutet, Dinge einmal anders zu betrachten, neu denken zu dürfen und sich zu fragen: Ist meine Sichtweise überhaupt noch gültig und wird sie mich in Zukunft weiterführen?

 

In welchen beruflichen Situationen spielt der Perspektivwechsel eine besonders große Rolle?

 

Slaghuis im Strandkorb

Dr. Bernd Slaghuis in Sneakers und Kapuzenpulli zu Besuch bei der LVQ

 

Bernd Slaghuis: Eigentlich in allen. Ganz gleich, ob jugendliche Berufseinsteiger zu mir kommen, die stark geprägt sind durch das Elternhaus, und Scheuklappen aufhaben oder Berufserfahrene, die 20 Jahre in einem Beruf waren und einfach nicht mehr wissen, was es da draußen noch alles an Möglichkeiten gibt. Perspektivwechsel heißt, den eigenen Blick zu weiten, über vielleicht auch zunächst ungewöhnlich erscheinende Fragen von mir nachzudenken, zu einem selbst passende Lösungen zu identifizieren - und hierbei eben auch die Scheuklappen abzulegen. Darum geht es im Coaching.

 

Wie gehst Du den Perspektivwechsel mit Deinen Kunden an?

 

Bernd Slaghuis: Ein wirksames Karriere-Coaching ist ein gutes und intensives Gespräch zwischen mir und meinem Klienten, ergänzt um bestimmte Methoden und Tools. Das beinhaltet Fragen, die ihn oder sie zum Nachdenken bringen. Dort, wo es sinnvoll ist, gibt es auch ein klares Feedback von mir. Viele wollen meine Einschätzung zu ihren beruflichen Vorhaben erfahren. Mir ist dabei wichtig, nicht Tipps aus der Haltung „Nur so ist es richtig!“ zu geben, sondern ausschließlich aus meiner persönliche Perspektive auf Basis meiner Erfahrungen.

 

Bei beruflichen Themen steht eine Frage im Zentrum: Was ist Ihnen wirklich wichtig im Beruf? Es geht darum, die eigenen Werte zu erkennen, also auch zu hinterfragen, was etwa Sinn im Beruf wirklich bedeutet. Dazu habe ich eine Methode entwickelt, eine Art Kartenspiel, mit der man auf leichte, spielerische Art für sich erkennen kann, was einem im Beruf wichtig ist. Am Ende des Prozesses haben meine Klienten die drei, vier wichtigsten Werte für sich herausgearbeitet, zum Beispiel Anerkennung, Herausforderung, Freude und Sinn. Hier hat jeder seine individuellen Wertevorstellungen.

Das Erkennen eigener Werte ist ein elementarer Teil im Karriere-Coaching

Bernd Slaghuis: Die Erkenntnis, dass diese Werte wichtig sind, überrascht die meisten Menschen nicht. Es ist eher die Erkenntnis, dass sie diese Werte bisher zu wenig oder gar nicht mehr gelebt haben. Auch das ist eine Form von Perspektivwechsel, Dinge rücken wieder ins Bewusstsein und werden klarer. Erst mit dieser Erkenntnis lässt sich dann auch an Lösungen arbeiten.

 

Coachst Du mehr Menschen, die im Beruf sind, oder Arbeitssuchende?

 

Bernd Slaghuis: Das ist sehr breit gefächert, meine Klienten kommen aus unterschiedlichen Situationen und Motivationslagen heraus zu mir. Der typische Klient ist Mitte 40 bis Anfang 50, schon viele Jahre im Beruf, stark frustriert und weiß, dass er/sie etwas verändern muss. Der erste Schritt fällt ihnen jedoch schwer. Es fehlt die nötige Klarheit, was sinnvolle nächste Schritte sind und wie sie diese angehen können. Daran arbeiten wir gemeinsam im Coaching.

 

Es kommen auch Klienten zu mir, die etwa nach einem Burnout und therapeutischer Behandlung längere Zeit aus ihrem Beruf raus waren und sich jetzt wieder fit fühlen für den Wiedereinstieg. Ihnen ist es besonders wichtig, diesen Schritt gezielt und mit einem guten Plan zu gehen. Andere Jobwechsler kommen auch nur zu mir, um ihre Bewerbungsunterlagen zu optimieren oder sich auf ein Vorstellungsgespräch vorzubereiten.

 

Mit welchen Erwartungen kommen Menschen im beruflichen Veränderungsprozess zu Dir?

 

Bernd Slaghuis: Den meisten geht es darum, neue Möglichkeiten zu entdecken und diese mit einem neutralen Sparringspartner offen zu besprechen. Was sind Zielpositionen, die passen und die realistisch sind, und wie komme ich da rein? Das ist dann auch die Unterstützungsleistung, die mein Coaching abdecken kann. Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist dabei ganz unterschiedlich: Manche kommen mit der Einstellung „Ich kann nichts und ich bin doch nichts wert“. Hier ist die Arbeit an den Stärken wichtig, Motivation aufzubauen, um dann gestärkt in den Bewerbungsprozess zu gehen. Bei anderen stelle ich fest, dass sie beim Stichwort „Ziele“ gefühlt auf Abstand gehen, weil sie noch nicht bereit sind, über ihre Zukunft nachzudenken. Viele sind im Kopf noch beim aktuellen oder letzten Arbeitgeber und stecken in einer Trennungsfrustsituation. Dann macht es noch keinen Sinn, darüber nachzudenken, was der nächste Schritt ist. Wir arbeiteten dann zuerst daran, das Alte abzuschließen, etwa wie sie mit einer Kündigungssituation umgehen können. 

 

Bei wieder anderen, die schon etwas weiter und klarer sind, sehe ich Schwierigkeiten bei der richtigen Suche. Da fällt es häufig schwer, nach den richtigen Stichworten zu suchen. Darunter sind häufig Menschen, die sich über Jahre nicht beworben haben, oder sich nie bewerben mussten. Sie möchten wissen, wie es heute geht. Die Ausgangslagen sind also sehr unterschiedlich.

Vom Ökonom zum Karriere-Coach

Diesen Veränderungsprozess, den Deine Kunden erleben, bist Du ja auch durchlaufen. Wie kamst Du als Ökonom dazu, Karriere-Coach zu werden?

 

Bernd Slaghuis: Ich habe nie geplant, Karriere-Coach zu werden. Das hat sich so ergeben, was ich auch ganz wichtig finde. Ich bin nämlich kein Freund von langfristiger Karriereplanung.

 

Ursprünglich habe ich eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und anschließend Wirtschaftswissenschaften studiert, mit anschließender Promotion. Mein erster Arbeitgeber war dann die Roland-Rechtsschutzversicherung, zunächst zwei Jahre als Vorstandsassistent, danach drei Jahre als Leiter in der Strategie- und Unternehmensentwicklung. Nach fünf Jahren wurde mir irgendwie langweilig, ich kannte das Haus in- und auswendig. Da habe ich von der Coaching-Ausbildung erfahren und gesehen, was das bei Menschen hinsichtlich der persönlichen Entwicklungen bewirken kann. Vor allem die Methodik dahinter fand ich spannend, dieses lösungsfokussierte Denken und die Haltung die dahinter steckt, Menschen keine Vorgaben zu geben, was sie machen sollen, sondern sie zur eigenen Lösung hinzuführen. Das fand ich unglaublich spannend und entschloss mich 2011 dazu, mich selbstständig zu machen.

 

War der Plan von vornherein, Karriere-Coach zu werden?

 

Bernd Slaghuis: Nein. Anfangs bin ich noch zweigleisig gefahren und habe mit einem Geschäftspartner aus einer Marketing-Agentur eine Unternehmensberatung gegründet. Das ging in Richtung klassische Positionierungs- und Strategieberatung. Die Coaching-Schiene habe ich parallel nebenbei aufgebaut. Recht schnell stellte sich dann jedoch heraus, dass die meisten Kundenanfragen tatsächlich aus dem Bereich Karriere-Coaching kamen. Schon da ging es um Neuorientierungsfragen, häufig gekoppelt mit Führungsthemen. Also baute ich dieses Thema aus, unter anderem durch die Schwerpunktsetzung in meinem Blog. Und so hat es sich dann weiterentwickelt.

Gutes Coaching führt zur Veränderung

Wir bei der LVQ stellen fest, dass Menschen in der Neuorientierungsphase häufig aus Krisenphasen kommen. Gibt es bei Deinen Kunden auch spezielle Krisenthemen?

 

Bernd Slaghuis: Wer zu mir ins Büro kommt, geht an einem alten Firmenschild vorbei, auf dem Themen draufstehen wie „Persönlichkeitsentwicklung“, „Stressbewältigung“ oder „Entscheidungsfindung“. Das würde ich heute so nicht mehr in den Fokus stellen, dies sind aber oftmals genau die Themen, die hinter den Orientierungs- und Karrierethemen verborgen sind. Es kommen Führungskräfte mit körperlichen Stresssymptomen zu mir, die ihren Arbeitsalltag nicht mehr geregelt bekommen oder Schwierigkeiten mit ihren Mitarbeitern haben. Bei näherem Hinsehen steckt auch hier ein Verstoß gegen die eigenen Werte dahinter. Wer zwei Jahre lang gegen seine innersten Werte handelt, dem hat sein Körper wahrscheinlich schon deutlich gezeigt, dass es so nicht mehr weiter geht. Für viele Menschen ist erst die Krisensituation ein guter Grund, den Hintern hoch zu bekommen, an Veränderungen zu arbeiten und auch nach professioneller Unterstützung zu suchen.

 

Wie gehst Du mit Deinen Kunden solche Themen an?

 

Bernd Slaghuis: Gutes Coaching hat für mich sehr viel mit Leichtigkeit und auch Humor zu tun, schließlich haben viele Menschen, die zu mir kommen, gerade das Gefühl, dass ihr Leben unglaublich schwer geworden ist. Es geht nicht um die rosarote Brille, sondern ich versuche in den Coachings zu vermitteln, dass Veränderung auch leicht sein kann und vielleicht sogar ein bisschen Freude machen darf.

 

Das ist ein sehr schöner und wichtiger Ansatz, den wir bei der LVQ auch versuchen unseren Teilnehmern vorzuleben. Danke bis hierhin Bernd!

 

Das war Teil 1 des Interviews mit Dr. Bernd Slaghuis. Im zweiten Teil unterhalten wir uns mit Bernd Slaghuis über eine seiner Kernexpertisen: Themen rund um die Bewerbung.

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Hier schreiben Lars Hahn, Martin Salwiczek und Gastautoren.Die LVQ Weiterbildung gGmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Präsenzunterricht mit Dozenten aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.Das Angebot der LVQ Business Akademie richtet sich an Berufstätige und umfasst die Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.Wenn Sie Fragen zu unserem Angebot oder Interesse an einer Beratung haben, rufen Sie uns einfach an!

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Autor

Martin Salwiczek

hat als Berater, Trainer und Experte für Jobsuche und Bewerbung einen engen Draht zu den Teilnehmern der LVQ. Daraus zieht er Ideen für seine Beiträge und findet immer wieder interessante Interviewpartner.