Glauben Sie nicht alles, was Sie hören: Vom Inneren Kritiker

19.10.2023, Kay Pfefferkuchen

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Das schaffst du eh nicht, dafür bist du viel zu dumm!
Natürlich hat sie kein Interesse an dir – du bist ja auch dick!
Warum sollten die gerade dich einstellen? Du kannst doch nichts!

Haben Sie auch so eine Stimme im Kopf, die Sie zurechtweist, sobald Sie das Gefühl haben, Sie hätten etwas besser machen können? Die Sie zusätzlich unter Druck setzt, wenn Sie ohnehin schon angespannt sind, beispielsweise vor einem Geschäftstermin?
In der Zeit zwischen zwei Jobs meldet sich diese Stimme besonders gern zu Wort, gewinnt noch an Lautstärke. Ist doch kein Wunder, dass wir Job x nicht halten konnten oder man uns Job y nicht anbietet – wir haben’s halt nicht drauf! Glaubenssätze wie diese sind es, die Martin Salwiczek in seinem Blogbeitrag als innere Hürden bezeichnet – und das sind sie.
Eine weitere Bezeichnung für diese Stimme in unserem Kopf ist die des Inneren Kritikers. Ein ständiger Begleiter, der mit den einen härter, mit den anderen weniger hart ins Gericht geht. Aber woher kommt diese Stimme eigentlich? Gehört sie wirklich uns? Und warum spukt uns überhaupt so ein innerer Nörgler im Kopf herum?

Diesen und weiteren Fragen bin ich mit meiner Kollegin Helene – Lena – Thiessen nachgegangen. Die Diplompädagogin unterstützt die LVQ-Teilnehmer*innen bei der Jobsuche und ist bei uns erste Ansprechperson in Sachen Innerer Kritiker beziehungsweise Mentor. Am Ende fassen wir das Gespräch in 7 Tipps zusammen, die zu einem konstruktiven Umgang mit der Stimme im Kopf beitragen.

Kay Pfefferkuchen: Hi Lena! Schön, dass du da bist. Magst du dich unseren Leser*innen kurz vorstellen?

Lena Thiessen: Hallo Kay! Gern: Ich heiße Helene Thiessen, werde aber gern Lena genannt, und arbeite seit gut neun Jahren bei der LVQ. Meine Aufgaben sind vielseitig: Häufig bin ich die erste Ansprechperson für Interessent*innen, die Kontakt zu uns aufnehmen. Ich coache unsere Teilnehmer*innen – etwa, wenn sie beruflicher Orientierung bedürfen oder mit uns ein Praktikum machen –, berate sie zu Lebenslauf und Anschreiben und helfe ihnen bei der Vorbereitung aufs Bewerbungsgespräch. Darüber hinaus unterrichte ich und mache beispielsweise bei unserem Kurs Qualitätsbeauftragte/r (TÜV) ein Bewerbertraining mit den Teilnehmer*innen. Ach, und auf Messen bin ich auch des Öfteren anzutreffen.

KP: Ein bunter Strauß an Themen, sozusagen. Was wir noch nicht erwähnt haben, ist, dass du im Rahmen unseres Langen Donnerstags auch Impulsvorträge zu Anschreiben, Lebenslauf und häufigen Fragen rund um die Bewerbung hältst. Und natürlich zum Inneren Kritiker. Aber wieso liegt dieses Thema eigentlich bei dir?

LT: Viele denken, dass das mit meinem Studium zu tun hat. Ich bin Diplompädagogin mit Schwerpunkt auf Erwachsenenbildung und Organisationsentwicklung. Tatsächlich hatte ich während des Studiums aber so gar nichts mit dem Thema zu tun. Stattdessen habe ich schon früh gemerkt, dass für unsere Teilnehmer*innen – nicht zuletzt für die Berufseinsteiger*innen – die Suche nach einem passenden Arbeitgeber nicht das Hauptproblem ist. Vielmehr löst dieser Schritt, der ja oft das Ende des einen und den Anfang des nächsten Kapitels darstellt, alle möglichen Prozesse in uns aus. Dazu zählen Blockaden, Ängste, Verunsicherungen … und genau hier möchte ich ansetzen.

Die Kraft positiver Formulierungen

KP: Sprich, beim Inneren Kritiker? Oder Mentor? Du hast ja im Vorabgespräch schon gesagt, dass das Wording sehr wichtig ist …

LT: Genau. Also ursprünglich geht es um den Inneren Kritiker. Damit ist diese oft tadelnde Stimme in unserem Kopf gemeint. Bei meinem Vortrag am Langen Donnerstag geht es darum, sich bewusst mit ihr auseinanderzusetzen, sodass aus dem Kritiker immer mehr ein Mentor wird, der uns Halt gibt und Mut macht, statt uns auszubremsen.

KP: Mit anderen Worten: Schon das Wording trägt dazu bei, diesem oft negativ konnotierten Thema etwas Positives zu verleihen. Aber lass uns vielleicht noch mal einen Schritt zurück machen: Was meinen wir denn genau, wenn wir vom Inneren Kritiker reden?

Der Innere Kritiker: ein Begleiter von klein auf

LT: Wir haben ja schon von dieser Stimme in unserem Kopf gesprochen. Man geht davon aus, dass der Innere Kritiker seinen Ursprung vor allem im Kindesalter hat. Er wird stark geprägt von unserem Umfeld und unseren Bezugspersonen: Eltern und Familie allgemein, Erzieher*innen, andere Kinder, Klassenkamerad*innen und so weiter.
Die Sache ist: Kinder lernen am Modell. Sprich, wir beobachten und imitieren das Verhalten unserer Bezugspersonen. Es bildet sich eine Art Norm, und der Innere Kritiker maßregelt uns immer dann, wenn wir drohen, von dieser Norm abzuweichen – oder abgewichen sind. Neben Verhaltensmustern verinnerlichen wir Äußerungen besagter Bezugspersonen uns gegenüber. Oftmals handelt es sich hierbei um Kritik, die wir internalisieren, sodass wir uns – teils Dekaden später – im selben Maß rügen, wie einst unsere Mutter, unser Vater oder wer auch immer.

KP: Da fällt mir eine Podcastfolge von ‚Psychologie to go‘ ein. Darin bezieht sich die Moderatorin, Franca Cerutti, auf den dänischen Familientherapeuten Jesper Juul. Ihm zufolge Kinder sind noch gar nicht in der Lage, zwischen konstruktivem und negativem Feedback, beispielsweise in Form eines Tadels, zu unterscheiden. Sprich, sie kooperieren einfach, verhalten sich also so, wie ihre Bezugspersonen es ihnen sagen oder vorleben.

Tipps zum Umgang mit der Stimme im Kopf

LT: Genau. Leider vermögen wir erst viel später, zwischen konstruktiver Kritik und solcher, die uns einfach nur ausbremst, zu unterscheiden. Für die bewusste Auseinandersetzung mit dem Inneren Kritiker ist dieses Vermögen aber von großer Bedeutung. Um unseren Inneren Kritiker in einen Mentor zu verwandeln, müssen wir bewusst hinhören, statt die Stimme in unserem Kopf zu ignorieren. Vielleicht gelingt es uns sogar, diese Stimme einer bestimmten Person oder einem bestimmten Moment in unserem Werdegang zuzuordnen. Wenn das der Fall ist, sollten wir uns fragen, ob wir dieser Kritik etwas Positives abgewinnen können oder ob sie allein dafür sorgt, dass wir uns schlecht fühlen. Sollte Letzteres zutreffen, ist es umso wichtiger, dass wir den Inneren Kritiker in seine Schranken verweisen – aber bitte auf einfühlsame Art.

KP: Das führt uns ja schon zu der Frage, wie man den Inneren Kritiker in einen Mentor verwandeln kann. Persönlich stelle ich fest, dass es mir, je älter ich werde, leichter fällt, die Stimme in meinem Kopf zu ignorieren, wenn sich die üblichen Selbstzweifel melden. Wenn ich dir so zuhöre, ist Ignorieren aber nicht der Weisheit letzter Schluss, oder?

Identifizieren Sie, wo die Stimme ihren Ursprung hat

LT: Dass du die Worte des Inneren Kritikers nicht für bare Münze nimmst, ist schon mal gut. Aber ja, noch besser ist es, sich bewusst mit ihm auseinanderzusetzen. Dabei kann es wie gesagt helfen, sich zu fragen, wo diese Stimme herkommt, wem sie gehört. Du hast ja gerade vom ‚Psychologie to go‘-Podcast gesprochen; in derselben Folge sagt die Moderatorin, dass ihr noch preußische Tugenden eingebläut worden seien (nach deutschlandfunkkultur.de „Beständigkeit und Zuverlässigkeit, Treue und Ehrlichkeit, Mut und Tapferkeit, Gehorsam und Selbstdisziplin, Fleiß und Qualität“). Diese kämen direkt von ihrer Großmutter, aber natürlich auch von ihren Eltern, die sie wiederum von deren Eltern haben. Nicht zu vergessen: Als ‚Nachkriegskinder‘ haben ihre Eltern ihr natürlich Tugenden und Werte mitgegeben, die – aus heutiger Sicht – mit ihren eigenen nicht immer deckungsgleich sind.

Hinterfragen Sie den Wahrheitsgehalt der Aussagen des Inneren Kritikers

KP: Ein weiterer Tipp wäre also, zu hinterfragen, ob die Werte, Überzeugungen et cetera, die sich hinter der Kritik dieser Stimme verbergen, überhaupt die unseren sind.

LT: Richtig. Ein Beispiel: Als ich noch klein war, machte ein anderes Kind eine abfällige Bemerkung über meine Brille. Diese Äußerung, so unbedacht sie auch gewesen sein mag, hat mich hart getroffen. Tatsächlich hat das lange Zeit dafür gesorgt, dass ich als Brillenträgerin teils große Unsicherheit empfinde. Mittlerweile bin ich aber in der Lage, diese Kritik zu hinterfragen. Genauer: ihren Ursprung.
Wenn ich heute mal einen Rat benötige, würde ich wohl kaum so einen kleinen, frechen Jungen aufsuchen. Sprich, wir sollten uns fragen, wie viel Gewicht der Stimme in unserem Kopf in so einem Fall überhaupt beizumessen ist. Denn das, was der Innere Kritiker uns da gerade sagt, entspricht nicht zwingend der Wahrheit. Genau so wenig bist du es, der da spricht, sondern allenfalls ein Teil von dir.

KP: O ja, solche Bemerkungen kenne ich. Bei mir bezogen die sich früher nicht zuletzt auf mein Gewicht, weswegen ich überhaupt erst mit dem Sport angefangen habe. Was mir jetzt noch nicht so ganz klar ist: Was soll das alles überhaupt? Sorgt dieser Innere Kritiker nicht nur dafür, dass wir uns schlecht fühlen?

Verleihen Sie dem Inneren Kritiker eine bestimmte Stimme

KP: Mir persönlich hilft es auch, wenn ich mir Erfolgsmomente in Erinnerung rufe oder Situationen, in denen meine Mitmenschen mir gespiegelt haben, dass ich x gut gemacht habe oder sie y an mir gut finden.

Nutzen Sie die Kraft der Affirmationen

LT: Das geht dann schon in Richtung Affirmationen. Wenn man sich, statt die Aussagen des Inneren Kritikers für bare Münze zu nehmen, sagt: Ich kann das. Ich bin schlau, liebenswert, humorvoll (genug) – was auch immer. Leider fällt es gerade Menschen, deren Innerer Kritiker stark ausgeprägt ist, oft schwer, sich so etwas vorzusagen. Sie haben dann schnell das Gefühl, sich selbst etwas vorzumachen. Statt sich also zu sagen: Ich bin schlau genug! Könnten sie es als Frage formulieren: Was, wenn ich eben doch schlau genug bin? Das kann zusätzlich helfen, die Worte des Inneren Kritikers nicht als die eine Wahrheit zu betrachten.

Holen Sie eine zweite Meinung ein

LT: Zu guter Letzt spricht nichts dagegen, den Fokus nach außen zu verlagern und Familie und/oder Freunde – also Menschen, die es gut mit uns meinen – zu fragen, was sie an uns mögen und was sie sich für uns wünschen. Oftmals liegen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung nämlich Welten, und manch eine*r wird – vielleicht überrascht – feststellen, dass er oder sie eben doch als schlau, liebenswert und/oder humorvoll wahrgenommen wird.

KP: Wir haben ja im Vorabgespräch schon geklärt, dass es natürlich eine Weile dauert, bis man den Inneren Kritiker in den Inneren Mentor verwandelt hat. Vermutlich handelt es sich auch hier, wie so oft, um einen Prozess, oder?

7 Tipps, wie Sie den Inneren Kritiker in einen Inneren Mentor verwandeln

LT: Richtig. Das erfordert Zeit und natürlich ein hohes Maß an Selbstreflexion. Die Tipps, die wir gesammelt haben, sollten jedoch allen Interessierten dabei helfen, einem liebevollen Umgang mit sich selbst ein gutes Stück näher zu kommen.

KP: Fassen wir noch mal zusammen:

  1. Bewusst in sich hineinhorchen und mit der Stimme im Kopf in den Austausch gehen
  2. Hinterfragen, wo sie ihren Ursprung hat
  3. Erkennen, dass es sich bei dieser Stimme nicht um eigene handelt und sie lediglich einen Teil von uns widerspiegelt
  4. Einsehen, dass die Worte des Inneren Kritikers nicht zwingend der (einen) Wahrheit entsprechen
  5. Feststellen, dass die eigenen Wertvorstellungen gegebenenfalls von denen abweichen, die den Worten des Inneren Kritikers zugrunde liegen
  6. Dem Inneren Kritiker bewusst eine andere, weniger negative Stimme verleihen
  7. Sich selbst Erfolgsmomente in Erinnerung rufen oder sich von netten Menschen bestätigen lassen, dass man durchaus gut genug ist

Liebe Lena, vielen Dank für deine Zeit! Ich habe das Gefühl, viel gelernt zu haben, und nehme für das nächste Gespräch mit meinem Inneren Kritiker beziehungsweise Mentor viel mit.

LT: Auch ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche unseren Leser*innen alles Gute.

Weiterführende Literatur:

  • Martin E. P. Seligman: Der Glücks-Faktor: Warum Optimisten länger leben
  • Stefanie Stahl: Das Kind in dir muss Heimat finden
  • Dr. Nico Rose: Management-Coaching und Positive Psychologie

 


 

 

 

 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.

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1 Kommentare

Saskia Bülow
01. Dezember 2023
Coachin und Mentorin

Tolles Interview mit vielen Denkimpulsen. Vermutlich kennt den inneren Kritiker jede*r. Nur ist den Menschen oft nicht bewusst, dass sie ihre "Selbstgespräche" auch steuern können und in den Dialog gehen können. Hier sind viele hilfreichen Tipps nachzulesen. Eine weitere Lösung für die Fragestellung ist auch das Konstrukt des Selbstmitgefühls. Wenn man wirklich in einer schlimmen Krise steckt und der innere Kritiker sehr laut ist, dann mit sich selbst umzugehen und zu reden wie mit seiner besten Freundin.


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Autor

Kay Pfefferkuchen

ist neu an Bord bei der LVQ und unterstützt uns als Mitarbeiter in der Online-Kommunikation. Nach seinem Studium der Anglistik und Germanistik schnupperte er sowohl Agentur- als auch Behördenluft und eignete sich Wissen als Online-Redakteur, -Marketer und Social-Media-Manager an.
Schreibt hier zu den Themen Jobsuche, Berufseinstieg und Digitales.