„Erfolgsfaktor Zufall“: Wie Sie unerwartete Chancen für die Jobsuche nutzen

21.09.2023, Martin Salwiczek

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„Wer nicht sucht, der findet“ – was zunächst paradox klingt, kann die entscheidende Einstellung für eine erfolgreiche berufliche Neuorientierung sein. Prof. Dr. Christian Busch (Bild), einer der weltweit führenden Experten für Innovation und Führung, beschreibt in seinem Buch „Erfolgsfaktor Zufall“ sogar ein tiefergehendes Prinzip hinter dieser Einstellung. Was genau dahinter steckt und wie man es für die Jobsuche nutzen kann, beschreiben wir in diesem Artikel.

Auf der Suche nach dem ‚perfekten‘ Job

Die erfahrene Prozessmanagerin Christiane verlor nach 15 Jahren aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen ihren Job. Aus Angst vor längerer Arbeitslosigkeit verbrachte sie Stunden damit, Jobportale zu durchforsten und sich zu bewerben. Doch der Erfolg blieb aus, und mit jeder Absage wuchs ihre Frustration. Eines Tages gab ihr eine Karriereberaterin einen Tipp:

"Christiane, du suchst zu intensiv. Es ist gut, zielorientiert zu sein, aber du musst auch offen für unerwartete Möglichkeiten sein. Geh aus dem Haus, besuche Networking-Veranstaltungen und rede mit Leuten. Nicht jeder Job wird in einer Jobbörse ausgeschrieben.“

Christiane war zunächst skeptisch, aber sie beschloss, dem Rat der Karriereberaterin eine Chance zu geben. Sie begann, Karriereveranstaltungen in ihrer Branche zu besuchen und mit verschiedenen Leuten ins Gespräch zu kommen. Plötzlich bekam sie interessante Impulse für ihre Bewerbungen. Statt die Absagen abzuheften, begann sie, die Erfolge zu zählen. Aus Enttäuschung wurde Motivation. Bei einer dieser Veranstaltungen traf sie den Vertreter eines Unternehmens, das sie ursprünglich nicht auf ihrer Favoritenliste hatte. Doch anstatt sich perfekt verkaufen zu müssen, führte sie ein lockeres Gespräch und fand eine gemeinsame Wellenlänge mit ihrem Gesprächspartner. Zu ihrer Überraschung lud sie der Vertreter am Ende des Gesprächs ein, in der nächsten Woche vorbeizukommen und ihren Lebenslauf mitzubringen. Und so kam es, dass Christiane ihren neuen Job bekam – nicht durch krampfhaftes Suchen, sondern durch Zufall, wie einige sagen würden. Doch ist ‚Zufall‘ hier das richtige Wort? Schauen wir uns mal das Phänomen der Serendipity an …

Das Phänomen Serendipity

Das Konzept der Serendipity oder des glücklichen Zufalls ist nicht neu, hat aber in den letzten Jahren, vor allem durch Werke wie „Erfolgsfaktor Zufall“ von Christian Busch, an Aufmerksamkeit gewonnen. Busch ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der USC Marshall School of Business und ehemaliger Direktor des Global Economy Program an der New York University. Er steht auf der Thinkers50-Radar-Liste der 30 Denker, die „die Zukunft gestalten werden“. Dennoch sieht er sein ganzes Leben als eine Aneinanderreihung von Zufällen, wie er in einem Interview mit dem Handelsblatt sagt. Im Zufall sieht er einen entscheidenden Faktor, der in unserem Leben den größten Unterschied machen kann. Ein zentraler Gedanke von Christian Busch ist, dass sich Menschen oft auf unerwartete negative Ereignisse vorbereiten, aber selten auf positive.
In diesem Zusammenhang definiert Busch Serendipity als „Prozess der zufälligen Entdeckung von etwas Positivem, während man nach etwas anderem sucht".  
Wichtig: Busch betont, dass jeder Mensch die eigenen Fähigkeiten so entwickeln kann, dass er positive Überraschungen systematisch erkennen und nutzen kann.

Die Kultivierung von Serendipity

Doch wie kann man systematisch das Positive entdecken? Busch beschreibt in seinem Buch, dass ein ganzer Prozess dahintersteckt, dass aber auch die richtige Einstellung (dazu kommen wir gleich) wichtig ist. 
Verkürzt gesagt sind unter anderem zwei Dinge wichtig, um Serendipity zu kultivieren: Das Setzen von „Serendipity Hooks“ und das Pflanzen von „Serendipity Bombs“. 
In seinem Artikel „How To Create Your Own Career Luck“ in der Harvard Business Review beschreibt Busch diese beiden Prozesse wie folgt:

Bomben pflanzen

Serendipity Bombs sind Strategien, die darauf abzielen, ganze „Container“ potenzieller Gelegenheiten zu schaffen. Eine Strategie ist das Versenden von E-Mails, LinkedIn oder XING-Nachrichten an Personen, die einen inspirieren. Busch schreibt, dass man überrascht ist, wie oft die Empfänger dieser unaufgeforderten Korrespondenz zurückschreiben, weil sie unerwartete gemeinsame Interessen oder Gründe sehen, sich zu engagieren. 

In unserem Blog empfehlen wir diese Vorgehensweise an verschiedenen Stellen als ‚Icebreaker‘ für den verdeckten Stellenmarkt und kennen Beispiele vieler Jobsuchender, die auf diese Weise mit ihrem künftigen Arbeitgeber in Kontakt gekommen sind. 

Eine andere Strategie besteht darin, Verbindungen zwischen verschiedenen Personen innerhalb einer Organisation herzustellen. Wir möchten den Begriff Organisation um „soziales System“ erweitern und als Beispiel unsere Weiterbildungen nehmen. Nicht selten ist für unsere Weiterbildungsteilnehmenden das richtige Gespräch mit der richtigen Person zur richtigen Zeit und zum richtigen Thema wertvoller für die Jobsuche als ein Weiterbildungszertifikat.

LVQ-Absolvent Dominik Timmerbeil erklärt im Interview mit uns, dass neben den Weiterbildungen vor allem der Austausch mit den anderen Teilnehmern ein ganz wichtiger Faktor war:
„Ich habe viele interessante Menschen mit ganz unterschiedlichem fachlichen Hintergrund und unterschiedlicher Berufserfahrung kennengelernt. Durch das gemeinsame Ziel, durch die Weiterbildung einen Job zu bekommen, war der Austausch sehr intensiv, das war urwichtig. Man hat viel von den Erfahrungen der anderen mitgenommen.“
Durch diese Gespräche wuchs sein Selbstvertrauen bei der Jobsuche.

Haken setzen

Serendipity-Hooks, wie von Christian Busch beschrieben, beziehen sich auf spezifische ‚Ankerpunkte‘ oder ‚Trigger‘, die in Gespräche oder Interaktionen eingefügt werden können, um potenzielle serendipitäre Verbindungen oder Möglichkeiten zu erkennen. Sie sind im Wesentlichen kleine Informationsstücke oder Fragen, die dazu dienen, das Interesse oder die Neugier des Gesprächspartners zu wecken und möglicherweise zu unerwarteten und wertvollen Verbindungen oder Erkenntnissen zu führen. Anders ausgedrückt: Serendipity Hooks sind ein Ansatz, (oberflächlichen) Small-Talk in eine persönliche Richtung zu lenken und damit positive Serendipitäts-Effekte zu erzeugen. Wir geben an späterer Stelle Beispiele, wie man solche Haken für die Jobsuche setzen kann.

Der schwarze Schwan als Sinnbild für Serendipity

Ein weiteres bekanntes Buch zum Thema ‚Zufall‘ ist „The Black Swan“ von Nassim Nicholas Taleb. Auch hier geht es um die Bedeutung unvorhersehbarer Ereignisse und wie sie unser Leben und unsere Karriere beeinflussen können. Ein ‚Schwarzer Schwan‘ ist ein Ereignis, das selten und unvorhersehbar ist, aber massive Auswirkungen hat. Während sich Serendipity meist auf individueller Ebene abspielt, stehen schwarze Schwäne sinnbildlich für unvorhergesehene Ereignisse auf systemischer Ebene. Als Beispiele nennt Taleb den Finanzmarktcrash von 1987, den Erfolg von Google oder wissenschaftliche Entdeckungen wie Penicilin. Wie Serendipity ermutigt uns Taleb, uns auf diese Ereignisse vorzubereiten, indem wir offen und anpassungsfähig bleiben. 
Auch hinsichtlich der Jobsuche gibt es aktuell einen ‚Black Swan‘. Dazu kommen wir gleich.

Mit der richtigen Einstellung zum nächsten Job

Wie können Sie nun Serendipity für Ihre Jobsuche nutzen? Busch betont als ganz wichtige Grundlage die Einstellung:

  • Seien Sie offen für neue Erfahrungen: Verlassen Sie Ihre Komfortzone und besuchen Sie Veranstaltungen und Treffen, zu denen Sie normalerweise nicht gehen würden. 
  • Seien Sie neugierig: Hinterfragen, erforschen und lernen Sie. Gehen Sie in Gespräche nicht mit der Haltung eines/einer Arbeitslosen, sondern als Forscher*in in eigener Sache. Jedes neue Wissen, jede neue Fähigkeit kann Ihnen helfen, eine unerwartete Chance zu erkennen und zu nutzen.
  • Seien Sie wachsam und mutig: Serendipity ist ein Prozess, der erst dann abgeschlossen ist, wenn Sie die sich bietenden Gelegenheiten ergriffen haben. Zögern Sie nicht, eine Chance zu ergreifen, wenn sie sich Ihnen bietet. Sie kann die Tür zu einer erfüllenden Karriere öffnen.
     

Serendipity bei der Jobsuche nutzen: 3 Tipps

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick darauf werfen, wie Sie Serendipity für Ihren nächsten Job nutzen können und ob es derzeit einen ‚Schwarzen Schwan‘ gibt, den Sie für Ihre Karriere nutzen können.

1) Suchen Sie aktiv Gespräche, um Serendipity Bombs zu platzieren

Es ist absolut verständlich, wenn Sie sich nach einem Jobverlust erst einmal zurückziehen, um das Erlebte zu verdauen und zu reflektieren. Suchen Sie aber möglichst bald den Austausch mit anderen Menschen, um Anregungen für die nächsten beruflichen Schritte zu bekommen und nicht in die Isolation zu geraten:

  • Suchen Sie das Gespräch mit Menschen aus Ihrem Netzwerk, 
  • Besuchen Sie Netzwerkveranstaltungen, nutzen Sie Businessnetzwerke wie LinkedIn und XING und vernetzen Sie sich mit interessanten Menschen,
  • denken Sie über eine Weiterbildung nach (sofern Sie nicht schon eine machen), bei der Sie nicht nur neue Impulse für neue berufliche Möglichkeiten bekommen, sondern sich auch mit Menschen austauschen können, die in der gleichen Situation sind wie Sie.

2) Setzen Sie Serendipity-Haken und geben Sie Ihrem Gesprächspartner die Möglichkeit, Haken zu setzen

Wenn wir im Rahmen des Berufsorientierungsprozesses und der Jobsuche Gesprächstiefe erzeugen wollen, geben wir unseren Gesprächspartnern Kontext. Erzählen Sie nicht nur, was Sie bisher beruflich gemacht haben, sondern was Ihnen an Ihrem Beruf besonders gefällt, worin Sie gut sind und welche Erfolge Sie vorweisen können, auf die Sie stolz sind. Daraus können sich bereits Ideen für mögliche Tätigkeitsfelder ergeben. 

Setzen Sie auch Haken bei Ihren Fragen. Mögliche Fragen könnten sein:

  • Wie sind Sie zu Ihrem jetzigen Beruf gekommen und was hat Sie dazu inspiriert?
  • Welche Ausbildung und Erfahrung haben Sie für Ihren Beruf benötigt? Gibt es bestimmte Qualifikationen oder Zertifikate, die wichtig sind?
  • Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sind in Ihrem Beruf besonders wichtig und warum?

3) Der schwarze Schwan unserer Zeit – künstliche Intelligenz

Im November 2022 wurde die generative KI ChatGPT erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Schnell wurde klar, welches Potenzial im Chatbot steckt und welchen Einfluss er auf unsere Arbeitswelt haben wird. Fachexpert*innen vergleichen ChatGPT in seiner Bedeutung mit der Einführung des Smartphones, Google und Amazon, manche sogar mit der Erfindung des Buchdrucks. Die aktuelle globale Studie des World Economic Forum The Future of Jobs Report 2023 prognostiziert sogar, dass sich in den nächsten fünf Jahren weltweit 44 Prozent der Kernkompetenzen der Arbeitnehmer*innen verändern werden. Künstliche Intelligenz, allen voran ChatGPT, kann also getrost als schwarzer Schwan bezeichnet werden.

Jetzt ist also der richtige Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinanderzusetzen und herauszufinden, wie Sie die Technologie für Ihre berufliche Zukunft nutzen können. Beginnen Sie zum Beispiel bei Ihrer Jobsuche. In einem Artikel beschreibe ich, wie Sie ChatGPT als Jobcoach nutzen können. Im Rahmen unseres neuen Formats #PromptDerWoche geben wir auf LinkedIn regelmäßig Impulse zur Nutzung von ChatGPT für die Jobsuche. 
Auch eine KI-Weiterbildung könnte jetzt Sinn machen. 

Nutzen Sie den Zufall bei der Jobsuche

Das Streben nach Perfektion bei der Jobsuche kann sich oft als Falle erweisen. Christianes Geschichte zeigt uns, dass der Schlüssel zu beruflichem Glück und Erfolg nicht in der verzweifelten Suche liegt, sondern in der Offenheit für unerwartete Möglichkeiten. Wenn Sie Serendipity in Ihre Herangehensweise integrieren, erweitern Sie nicht nur Ihren Horizont; Sie erhöhen auch Ihre Erfolgschancen – garantiert. 

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Suche nach dem Zufall.
 

Ende Mai (2023) war Christian Busch beim ZDF-Format ‚Volle Kanne‘ zu Gast. Das 9-minütige Video zum Thema Erfolgsfaktor Zufall können Sie unter folgendem Link anschauen: https://www.zdf.de/gesellschaft/volle-kanne/talk-zufall-100.html


 

 

 

 


 

 

Dies ist der Karriereblog von LVQ.de. Unsere Artikel werden verfasst von unserem Redaktionsteam bestehend aus Martin Salwiczek, Lars Hahn und Kay Pfefferkuchen.

Die LVQ Weiterbildung und Beratung GmbH bietet Weiterbildungen für Fach- und Führungskräfte und Akademiker. Unser Vollzeitangebot mit anerkannten Abschlüssen kann zum Beispiel über den Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit gefördert werden. Besonderes Augenmerk legen wir auf Online-Präsenzunterricht mit Dozent*innen aus der beruflichen Praxis und der weiterbildungsbegleitenden Unterstützung bei der Jobsuche.

Für Berufstätige bietet die LVQ Business Akademie entsprechende Weiterbildungen. Der Fokus liegt auf der Vermittlung fachspezifischer Themen aus dem gesetzlich geregelten Bereich. Inhouse-Seminare, Beratung und Schulungen für Unternehmen runden das Angebot der LVQ ab.

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1 Kommentare

Manuela, Birkenstein
21. September 2023

Toller Artikel und so wahr! Ich fühle mich sehr mit der hier genannten Christiane verbunden. Nach 20 Jahren habe ich den Job in meinem Unternehmen verloren, weil sie es "verjüngern" wollten. da stand ich nun, 48 und ohne Job. Eine gute Freundin hatte zu der Zeit Geburtstag und ich hab ihr einer meiner selbstgemachten Marmeladen geschenkt, mit meinem Logo Design (habe das einmal zum Spaß drucken lassen) auf dem Glas. Eine ältere Dame ist das Marmeladenglas aufgefallen und sie hat mir ihre Karte gegeben, dass ich Karten und Sticker für die Hochzeit ihres Enkel mache. Nun 15 Jahre später macht es mir immer noch Spaß Logos, Karten, Sticker etc. für Events, Start Ups oder Hochzeiten zu designen. Das war zwar nicht mein Plan, aber mein Schicksal.


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