Job-Community statt Businessnetzwerk: Warum XING für Jobsuche und Recruiting immer wichtiger werden könnte

10.11.2022, Martin Salwiczek

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Einmal jährlich machen wir aus Perspektive der Jobsuche eine Bestandsaufnahme zu den beiden Businessnetzwerken XING und LinkedIn. Als Weiterbildungsanbieter mit Teilnehmer/innen, die vor ihrem nächsten Job stehen, fragen wir uns dabei regelmäßig:

  • Welche Plattform hat die Nase vorn?
  • Wo finden Jobsuchende die besseren Jobs, die passenderen Unternehmen, die wichtigsten Kontakte?

Durch die aktuellen Diskussionen um XING, könnte der Eindruck entstehen, dass das Pendel klar zu Gunsten von LinkedIn ausschlägt. Auslöser ist eine Mitteilung von XING im August, in der es heißt: „Ab 2023 wird es bei XING keine Gruppen und Events mehr geben.“ Als Folge kündigten viele XING-Nutzer an, ihre Profile zu löschen und gänzlich zu LinkedIn zu wechseln. Marketingexpert/innen postulierten bereits das Ende von XING. Warum wir da anderer Meinung sind und sogar glauben, dass XING in den Bereichen Jobsuche und Recruiting noch wichtiger wird, erklären wir in diesem Blogbeitrag.

XING-Änderungen sorgen für Ärger

Schauen wir uns die seit Wochen laufenden Diskussionen um XING in mehreren sozialen Medien an, erweckt es den Anschein, dass sich das letzte große Social Network mit europäischen Wurzeln seinem Ende entgegen neigt. Schon seit längerer Zeit beklagen viele XING-Power-User den eher starren Netzwerkcharakter des Businessnetzwerkes im Vergleich zu LinkedIn, dem großen Konkurrenten aus den USA. Die Ankündigung der Schließung beider zentraler Netzwerkfunktionen „Events“ und „Gruppen“ zum Ende des Jahres 2022 setzte den Abwanderungsbestrebungen vieler Nutzer schließlich die Krone auf. Es vergeht kaum eine Woche, in der wir nicht einen Abschiedspost eines langjährigen XING-Power-Users lesen. Das reicht von kurzen trotzigen Hinweisen wie: „Ab jetzt findet man mich nur noch auf LinkedIn,“ bis hin zu langen Posts, die wie wehmütige Abschiedsbriefe klingen. Ein emotionaler Unterton ist meistens dabei raus zu lesen. Doch was hat diesen Unmut hervorgerufen?

Strategische Neuausrichtung von XING: Job-Community statt Businessnetzwerk

Die Entwicklung um XING hat sich schon seit Längerem angebahnt: Bereits Ende 2021 kündigte die New Work SE, das Unternehmen hinter XING an, dass sich die Plattform im Zuge einer strategischen Neuausrichtung von einem allgemeinen beruflichen Netzwerk hin zu einer Job-Community entwickeln werde. „Wir wollen der Marktplatz für Jobs sein, an dem keine HR vorbeikommt und für die Talente der Jobbegleiter mit dem besten Value“, sagte New Work Chefin Petra von Strombeck dazu im OMR-Podcast. Jobsuchende bräuchten mehr denn je Orientierung beim Finden eines passenden Jobs und XING wolle dafür die erste Anlaufstelle werden.

Dies hat zur Folge, dass XING mit seiner Neuausrichtung in Kauf nimmt, dass Nutzer abwandern, deren Fokus eher auf beruflichem Netzwerken sowie auf Vertriebs- und Marketingaktivitäten liegt. Schauen wir auf die besagten Power-User, die sich von XING abwenden, so fällt ein großer Teil von ihnen genau in diese Kategorie. XING war für sie seit Jahren die zentrale Plattform für Business-Networking, wodurch eine Vielzahl sozialer Beziehungen im beruflichen Kontext entstanden sind. Die emotionalen Reaktionen sind daher nur verständlich. Der Unmut dürfte jedoch schnell verrauchen, wenn sich deren Kommunikation final auf LinkedIn verlagert hat. In vielen Fällen ist dies unlängst geschehen.  

Was bedeutet das aber für XING? Wird XING – wie von vielen prophezeit – durch die Abwanderungswelle zu LinkedIn dasselbe Schicksal ereilen wie einst StudiVZ, das nach Facebooks Marktantritt in Deutschland in der Versenkung verschwunden ist? Sollten auch Jobsuchende nun die Plattform wechseln und nur noch auf LinkedIn setzen? Schauen wir dazu auf ein paar Zahlen.

XING war und bleibt Social Media für „Social-Media-Skeptiker“

21,4 Millionen Menschen nutzen XING aktuell in der D-A-CH-Region (Stand November 2022, Linkedin weist circa 20 Millionen auf). Im zweiten Quartal waren es noch 20,9 Millionen Nutzer (Quelle: Statista). Von einer großen Mitgliederflucht kann also nicht gesprochen werden, im Gegenteil.
XING wird im deutschsprachigen Raum weiterhin von vielen Menschen als wichtige Plattform für Jobsuche und Bewerbung wahrgenommen, auch von eher weniger netzwerkaffinen Menschen. Die alte 90-9-1-Regel des dänischen Web-Usability-Experten Jakob Nielsen, nach der 90 % der Online-Community-Nutzer nur beobachten, 9% sich hin und wieder und nur 1% sich regelmäßig beteiligen, passte seit jeher in keinem sozialen Netzwerk so gut wie bei XING. Schon 2012 bezeichneten wir XING in einem Beitrag im Berufebilder-Blog als Netzwerk der Wahl für Menschen, die eher zurückhaltend in ihrer Präsenz sind und keine große Lust auf Social Media haben. Oder wie es LVQ-Geschäftsführer Lars Hahn ausdrückt:

„XING ist Social Media für Social-Media-Skeptiker.“

Dies erleben wir auch bei unseren Teilnehmer/innen in der Weiterbildung. Viele von ihnen, selbst diejenigen die sich in Social Media oder Online-Marketing weiterbilden, sind eher verhalten, was ihre digitale Präsenz angeht: „Social Media nutze ich meist passiv, XING aktiv, wenn ich einen Job brauche“, ist ein Satz der in diesem Kontext häufig fällt.  

Von einem ähnlichen Schicksal wie für StudiVZ gehen wir bei XING also nicht aus, im Gegenteil: Mit dem Wissen, dass die Phase zwischen zwei Jobs immer wieder kommen kann, wird der Großteil (der meist passiven) XING-Nutzer keinen Grund haben, XING zu verlassen. Diejenigen, die eher aktiv in sozialen Netzwerk unterwegs sind, werden hingegen künftig LinkedIn bevorzugen.

Es bleibt dabei: Nicht XING oder LinkedIn, sondern XING UND LinkedIn für die Jobsuche

Ob eher passiver oder aktiver Social-Media-User: Jobsuchenden empfehlen wir ohnehin seit Längerem sowohl ein XING- als auch ein LinkedIn-Profil zu nutzen, denn Jobsuche funktioniert nicht immer gleich. Dies haben wir in mehreren Artikeln, unter anderem in dieser Gegenüberstellung, ausführlich behandelt.  Darüber hinaus sehen wir durch den Austausch mit unseren Teilnehmer:innen, dass sie mithilfe von Linkedin teilweise anders an Jobs kommen als durch XING. Über Linkedin finden sie ihre Jobs tendenziell häufiger über Kontakte aus ihrem Netzwerk und durch Interaktionen wie Kommentare oder Likes auf Personen- oder Unternehmensprofile. Über XING werden unsere Teilnehmer/innen tendenziell häufiger von Recruiter/innen angeschrieben oder finden durch Eigenrecherche über die erweiterte Suchfunktion ihre Arbeitgeber. Gerade hier hat XING seine Stärken: In den Jobsuche-Tools, die auch in Zukunft für Bewerber/innen wichtig sein werden.

XING mit starkem Fokus auf Jobsuche und Recruiting

Während bei LinkedIn also vor allem die Interaktion der Nutzer ein wichtiger Faktor für die Jobsuche ist, besticht XING durch spezielle Funktionen für die Jobsuche:

  • Auf den Unternehmensprofilen können sich die XING-Nutzer durch Mitarbeiterbewertungen von kununu ein differenziertes Bild vom Unternehmen machen.
  • Daran anknüpfend bietet der Kulturkompass als neues Tool XING-Nutzern Unterstützung, den passenden Job zu finden.
  • Die erweiterte Suchfunktion bei XING bietet 16 Filteroptionen. Dadurch lässt sich im Vergleich zu LinkedIn präziser nach passenden Personen und Unternehmen recherchieren.

Die strategische Neuausrichtung mit Fokus auf Jobsuchenden lässt hoffen, dass XING hier noch weiter nachrüsten wird. Eine neue Lernplattform als Unterstützung für die Berufsorientierung wurde bereits angekündigt. Kritisch sehen wir dennoch die Abschaffung der Events und Gruppen. Speziell der Austausch mit anderen Menschen in Gruppen und auf Veranstaltungen stellt doch einen zentralen Aspekt der beruflichen Orientierung dar. Wir sind gespannt, welche Alternativen XING im Gegenzug dafür anbieten wird.

Betrachten wir zudem die Arbeitgeber-/Recruiterseite, ist XING im Vergleich zu LinkedIn auch hier dank Tools wie dem Talent Manager oder dem Employer-Branding-Profil schon stark aufgestellt. Kurz nach der Information zur Schließung der Gruppen und Events präsentierte XING mit Onlyfy eine neue Recruiting-Plattform, die den Recruiting-Prozess noch weiter vereinfachen soll. Tauschen wir uns mit Recruitern und Personaler:innen aus, so zeigen diese sich zum großen Teil von den aktuellen Diskussionen um XING unbeeindruckt. Entscheidend ist für sie die Plattform, auf der sich deren Zielgruppen befinden – ganz gleich ob LinkedIn oder XING.

Fazit: XING wird mit der Neuausrichtung einen eigenen Weg gehen

XING wurde lange Zeit im Wettbewerb zum Businessnetzwerk-Riesen LinkedIn gesehen. Dass sie dieses Rennen als größtes und aktivstes Businessnetzwerk auf Dauer nicht gewinnen können war absehbar, nicht zuletzt dadurch, dass LinkedIn mit Microsoft im Rücken eine viel größere technische Innovationskraft aufweist. Die Fokussierung auf Recruiting und Jobsuche ist daher ein sinnvoller Schritt und steigert unserer Ansicht nach sogar noch den Wert von XING für Jobsuchende und Recruiter/innen. Ausschlaggebend für XINGs weiteren Erfolg wird die langfristige Bindung seiner eher passiven Nutzer durch attraktive Jobsuche-Funktionen sein.

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