Warum das Bewerbungsanschreiben längst überholt ist. 5 Tipps für Alternativen zum Anschreiben.

28.06.2018, Lars Hahn

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Das Bewerbungsanschreiben ist ein Folterinstrument für viele Jobsuchende. 55 Prozent der Bewerber sagen, das Anschreiben sei eine große Hürde bei Bewerbungen, wie kürzlich eine Umfrage feststellte „Anschreiben verfassen ist für mich wie Zahnschmerzen.“

 

In der alten Welt sagt jetzt der selbstbewusste Personalchef: „Da müssen Sie durch! Ich kann schließlich aus 268 Bewerbungen auswählen! Aus dem Anschreiben finde ich heraus, ob der Bewerber zu uns passt!“.

 

Ach ja? Ich halte es da eher mit Recruitingspezialist Henrik Zaborowski, der schon lange sagt, dass Anschreiben nicht zur Personalauswahl taugen, weil sie zu Mutmaßungen verleiten und mitnichten objektiv bewertet werden können.

 

Objektive Kriterien bei Personalauswahl durch Anschreiben?

 

Wie denn auch?

 

Da sitzen qualifizierte Technik-Experten vor einem weißen Blatt digitalen Papiers und üben sich in Bewerbungsprosa, obwohl sie mitnichten Germanisten, sondern zum Beispiel Ingenieure sind. Es kaufen sich hochdotierte berufserfahrene Professionals eine mehr oder weniger kompetente Erstellung des Anschreibens bei kommerziellen Anbietern ein – total authentisch. Oder – für mich am schlimmsten – fachlich und menschlich geeignete Bewerber scheitern in der Vorauswahl, weil sie ihr Anschreiben zwar authentisch aber eben hölzern oder zu ehrlich formuliert haben.

 

Immer noch verlangen viele Unternehmen genau die Art von Anschreiben, an der so manche Bewerber scheitern:

 

Nach der AIDA-Formel Aufmerksamkeit erheischend, sich selbstmarketinglike verbiegend, dem Arbeitgeber den personalauswählenden Mund wässrig machende Dokumente stundenlanger Wortakrobatik. Passend ist dazu auch der Kommentar von Claudia Tödtmann in der Wirtschaftswoche: Wer braucht heuchlerische Anschreiben?

Anschreiben ja oder nein? Übergangsstadium im Bewerbungsbusiness

Ich denke, wir befinden uns gerade in einem Übergangsstadium. In der alten Welt wird das klassische Bewerbungsverfahren per Anschreiben gekrönt. Dort dürfen Bewerber ihre Motivation darstellen und formulieren, warum sie ausgerechnet unbedingt und nur bei gerade diesem Unternehmen arbeiten möchten. „Schon als kleiner Junge wünschte ich mir morgens um 4 aufzustehen, um Brötchen zu backen“, „Prozessoptimierung in der Metallverarbeitung ist meine große Leidenschaft“, „Mein ganzes Leben dreht sich um Zylinderschrauben mit Schlitz Form A, deshalb ist Ihr Unternehmen meine erste Wahl“.

 

Merken Sie selbst, dass hier was nicht stimmt?

 

In der alten Welt – und vieles ist noch alte Welt – wird dennoch über das Anschreiben Personalauswahl betrieben. Ein ganzes Business lebt unter anderem davon, dass das Thema Anschreiben für viele Bewerber wie Zahnschmerzen ist. Es gibt Anschreiben-Coaches, Anschreiben-Tipps im Web, Anschreiben-Bücher und Anschreiben-Seminare (auch wir geben Tipps dafür, weil die alte Welt noch dominiert).

 

Und doch gibt es da schon die neue Bewerbungs-Welt.

One-Click-Bewerbungen per XING, LinkedIn und Stepstone

In der neuen Welt – Personalnot lässt grüßen – gibt es gegenläufige Tendenzen. So bieten XING, Stepstone und Linkedin schon längst die Bewerbung per Knopfdruck – One Click: Sie bewerben sich per XING-Profil. Zugeständnis an die Komforterwartungen der Generationen Y und Z? Dringend gesuchte IT-Experten können nämlich coden und programmieren, schreiben aber partout keine Anschreiben. Jüngst ermöglicht gar die gute alte Deutsche Bahn angehenden Azubis die Bewerbung per Klick, nachdem Player wie Henkel und Otto es bereits vorgemacht haben.

 

One-Click-Bewerbungen haben den Vorteil, dass Sie sich (fast) mit einem Klick auf eine Stelle bewerben können und das in der Regel auch vom Smartphone oder Tablet aus. Allerdings funktioniert das nur wirklich gut, sofern Sie vorher Ihr XING-, Stepstone- oder LinkedIn-Profil gepflegt haben, denn daraus zieht sich die One-Click-Bewerbung die notwendigen Daten.

 

Übrigens gilt Ähnliches auch bei Bewerbungen im verdeckten Stellenmarkt. Viele Stellen werden über einen persönlichen Kontakt, eine Empfehlung eines zukünftigen Kollegen oder über Ihre Netzwerke, über Systematisch Kaffeetrinken vergeben. Wenn Sie diesen Weg einschlagen, benötigen Sie oft nur noch die PDF-Datei mit Ihren Unterlagen zur Weiterleitung an die Personalabteilung, nachdem Sie schon längst mit Entscheidern des Unternehmens alles Wesentliche besprochen haben.

 

Auch Personalmarketing-Experte Henner Knabenreich empfiehlt Unternehmen, bei der Personalgewinnung Wege abseits des Anschreibens einzuschlagen: Mit Bewerbern – ganz ohne Anschreiben – zu reden: Per Bewerbercastings, Probearbeitstagen, Kurzpraktika.

5 Tipps für Anschreiben-Muffel

Die Mehrzahl der klassischen Stellenausschreibungen verzichtet allerdings nach wie vor auf die One-Click-Möglichkeit, Bewerbercastings und Systematisch Kaffeetrinken. Schließlich will man – alte Welt – den Bewerbungsprozess (!) standardisiert halten und das Verfahren der Personalauswahl bestimmen.

 

So sind Sie bei klassischen Stellenausschreibungen eben gezwungen, sich an die Regeln des ausschreibenden Unternehmens zu halten, sofern Sie die entsprechende Stelle wirklich wollen. Spätestens, wenn Sie im Online-Bewerbungsverlauf ein Anschreiben hochladen müssen.

 

Was also tun, wenn das motivierte professionelle Anschreiben nicht gelingen will?

 

Tipp 1: Hilfe aus dem Umfeld holen. Fragen Sie jemand aus Familie, Freundeskreis oder beruflichem Kontext um Hilfe. Jemand der gerne schreibt und schreiben kann.

 

Jemand der Sie einschätzen kann und Ihren Sprachstil in ein Anschreiben umsetzen kann, schafft es im gemeinsamen Gespräch mit Ihnen, ein zu Ihnen passendes Anschreiben umzusetzen.

 

Tipp 2: Mit etwas Risikobereitschaft formulieren Sie, wenn die Schreibblockade drückt, ein Ein-Satz-Anschreiben. Versenden Sie ein Anschreiben mit dem Kernsatz „Anbei sende ich Ihnen meine Bewerbungsunterlagen - meine Motivation und meine Vorzüge würde ich Ihnen gerne in einem telefonischen oder persönlichen Gespräch erläutern“. Natürlich halten Sie dabei die Form eines klassischen Anschreibens ein.

 

Das klappt nicht in jedem Fall, aber möglicherweise punkten Sie gerade dadurch, dass sie der Leserin viel Arbeit des mühsamen Anschreiben-Dechiffrierens ersparen.

 

Bisweilen kann man sich dem Wunschunternehmen auch anders nähern als per klassischer Bewerbung. Speziell, wenn es das bekannte Unternehmen Ihrer Branche am Ort ist:

 

Tipp 3: Sprechen Sie gezielt Mitarbeiter Ihres Zielunternehmens an, die Sie kennen (Sie finden sie bisweilen in den Businessnetzwerken wie XING, Facebook oder offline im Bekanntenkreis). Oft werden Stellen besetzt über Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis.

 

Oft landet man dadurch in Unternehmen, die gar keine Stelle ausgeschrieben haben, aber Bedarf an Personal – mitten im verdeckten Stellenmarkt. Deshalb lohnt es sich, die Jobsuche bei persönlichen Kontakten sichtbar zu zeigen. Daher mein

 

Tipp 4:Vernetzen Sie sich systematisch mit ehemaligen Kollegen, Kunden, Lieferanten, Chefs, Mitarbeitern, Mitbewerbern, Schulfreunden, Mitteilnehmern aus der kürzlichen LVQ-Weiterbildung usw. – online wie offline. Rein statistisch ist bei einem von Ihren Kontakten gerade hoher Personalbedarf. Vielleicht sind Sie der Joker: „Right time, right place!“

 

Der Aufbau und die Pflege eines persönlichen beruflichen Netzwerkes ist zwar eigentlich eine nachhaltige, längerfristige Aufgabe, im Notfall können Sie jedoch gerade über die Online-Businessnetzwerke relativ schnell eine Sichtbarkeit und Vernetzung herstellen.

 

Tipp 5: Recherchieren Sie nach Menschen, die dort tätig sind, wo Sie arbeiten möchten. Wenn Sie Menschen finden, die genau das tun, was Sie auch tun möchten, gibt es eine gute Chance, dass es dort noch mehr von dieser Arbeit gibt und man Sie dringend braucht. Spätestens dann besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass man Ihre Kontaktanfrage bei XING oder anderswo gerne entgegennimmt.

 

Ganz gleich, ob Sie abseits der anzeigenfordernden Stellenausschreibungen suchen oder ob Sie per Trick die Anschreiben-Forderung erfüllen – Alternativen zum Bewerbungsanschreiben lohnen sich spätestens dann, wenn Sie regelmäßig einer manifesten Schreibblockade unterliegen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg!

 

 

 

Disclaimer: Karrierecoach Bernd Slaghuis wies grad in der Süddeutschen darauf hin, dass für einige Bewerber Anschreiben in Form von Motivationsschreiben durchaus gute Möglichkeiten bieten, ihre Chancen in einem klassischen Bewerbungsverfahren zu erhöhen. Das betrifft zum Beispiel Quereinsteiger, Branchenwechsler oder „Downshifter“. Diejenigen, deren Lebenslauf eher nicht selbsterklärend oder besonders bewegt ist, vergrößern ihre Chancen bei einer Stellenausschreibung, wenn Sie ein ausführliches Anschreiben formulieren. Da hat er natürlich recht. Grund für uns in der LVQ, unsere Teilnehmer dabei zu unterstützen.

 

 

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5 Kommentare

21. September 2019

Ja, Bewerbungsschreiben sind für viele Jobsuchende eine anspruchsvolle Herausforderung und sicher die Garnitur der Bewerbungsunterlagen. ABER letzten Endes verrät ein individuell verfasstes Anschreiben eine Vielzahl mehr über den Bewerber, was aus der blossen Übersendung des Lebenslaufes und ggfs. des Bewerberprofils nicht ersehen lässt. Damit meine ich, dass der Bewerber / die Bewerberin überzeugende Gründe für die Bewerbung liefern kann und somit einen Call to Action zur Kontaktaufnahme, für das Vorstellungsgespräch liefert. Mit bester Empfehlung!


Mark Quest
04. Dezember 2018

Bei kleinen Firmen und/oder wenigen Bewerbern liest man zuerst das Bewerbungsschreiben und dann den Lebenslauf.

 

Bei großen Firmen zuerst den Lebenslauf und erst dann das Anschreiben, falls der Bewerber überhaupt den Anforderungen entspricht.

 

Da gelten die paar Sekunden die beim Lebenslauf über hop oder drop entscheiden.

 

Wenn man im Bewerbungsschreiben sehr motiviert wirkt und alle Anforderungen mitbringt, dann ist das auf jeden Fall ein Vorteil als wenn man nur den Anforderungen entspricht.

 

Das hilft beim ersten Eindruck - und der entsteht nun mal durch die Bewerbungsunterlagen.

Man kann sich dagegen nicht widersetzten weil der Eindruck im Unterbewusstsein entsteht.

Deshalb ist es ja so wichtig schon früh bei der Bewerbung zu punkten.

 

Auf unsrem Blog haben wir ein Anleitung gepostet, wie ein gutes Bewerbungsschreiben gelingen kann.

www.topjobbewerbung.com/bewerbungsschreiben-anleitung/


02. Juli 2018

Alte und neue Welt, bewerben und gefunden werden, ich glaube in der Mischung liegt der Erfolg.

Aus meiner Sicht geht es aber in der Jobsuche immer um den Schritt davor. Den vergessen viele Bewerber. Dafür finde ich die Auseinandersetzung mit dem Anschreiben schon ganz gut. Was will der Bewerber, was kann er/sie. Und dann ist es wichtig, wie, wo und wem kommuniziere ich das als Bewerber. Computer, die die Vorauswahl treffen finde ich ehrlich gesagt auch nicht „optimal“. Ein schräger oder nicht absolut gradliniger Lebenslauf oder die falschen „Keywords“ - Pech gehabt. Als Personaler immer die gleichen Anschreiben lesen ist nach 300 Bewerbungen auch nicht lustig.

Mal sehen, wohin es bzgl. Anschreiben geht. Mit den 5 guten Tipps auf jeden fall weiter ;). Danke


Michael Müller
29. Juni 2018

Gute auf den Punkt gebracht. Von Seiten des HR aus gedacht, wird sehr viel Zeit in das Lesen dieser Schreiben investiert, obwohl die Aussagekraft zur optimalen Personalauswahl minimal ist.


Lars Hahn
29. Juni 2018

Vielen Dank! Das ist genau das Ärgerliche: Es wird auch auf Seiten der professionellen HRler viel Zeit für das Durchforsten der Anschreiben investiert. Kürzlich sagte mir ein Personalchef, wie ärgerlich der Zeitaufwand fürs Lesen der Bewerbungsunterlagen sei. Auf meinen Hinweis: "Dann lassen Sie doch die Anschreiben weg" antwortete er: "Das kann man doch nicht machen."


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Autor

Lars Hahn

ist Geschäftsführer der LVQ und Entdecker von Systematisch Kaffeetrinken. Er schreibt über Entwicklungen der Arbeitswelt, gibt wertvolle Tipps und führt spannende Interviews zu den Themen Karriere, Jobsuche und Weiterbildung.